BMF-Schreiben: Mit BMF-Schreiben v. 15.6.2020 wurde der UStAE insofern angepasst, dass fortan[18] subjektive Elemente (Absicht) für die Steuerbefreiungstatbestände von keiner Bedeutung mehr sind. Das Tatbestandsmerkmal "zu dienen bestimmt ist" wird im UStAE aufgehoben und durch ein "dienen" und "eingesetzt werden" ersetzt. Es wird folglich fortan auf den tatsächlichen Einsatz eines Schiffes abgestellt.[19]

Hohe See: Darüber hinaus wird für den sachlichen Anwendungsbereich nicht mehr auf die Küstenlinien i.S.d. § 1 Flaggenrechtsverordnung, sondern auf die Küstenmeere nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen abgestellt. Dies hat zur Folge, dass die Küstenmeere fortan nicht mehr in den Anwendungsbereich der Umsatzsteuerbefreiung fallen und die zwölf Seemeilengrenze fortan den territorialen Anwendungsbereich der Norm bestimmen. Durch die Überschrift des BMF-Schreibens "Steuerbefreiung für Leistungen für die Schifffahrt auf Hoher See" gibt die Finanzverwaltung jedenfalls zu verstehen, dass sich die Hohe See nach der Zwölf-Seemeilengrenze bestimmt.

Rechtsfolgen: Die Änderung des UStAE führt dazu, dass Seeschiffe, die in den Küstenmeeren (bis zur Zwölf-Seemeilengrenze) tatsächlich eingesetzt werden, nicht mehr in den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung fallen:

Beispiel 1 Vorsteuerüberhang: Ein Seeschiffbetreiber befördert innerhalb der Küstenmeere Container für ausländische Unternehmer. Die Beförderungsleistung ist in Deutschland regelmäßig gem. § 3a Abs. 2 Satz 1 UStG nicht umsatzsteuerbar. Es kann zu Vorsteuerüberhängen in Deutschland kommen.

Beispiel 2 Vorsteuerüberhang: Ein Seeschiffbetreiber betreibt eine Fähre zwischen den Seehäfen in Hamburg und Rotterdam. Die grundsätzlich steuerbare Beförderungsleistung gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 3b UStG ist gem. § 7 Abs. 3 UStDV nicht der deutschen Umsatzsteuer zu unterwerfen, sofern die Fähre als Wasserfahrzeug für die Seeschifffahrt zu qualifizieren ist. Es kann zu Vorsteuerüberhängen in Deutschland kommen.

Offene Rechtsfragen: Offen bleibt jedoch, in welchem Umfang Seeschiffe außerhalb der Zwölf-Seemeilengrenze eingesetzt werden müssen. Weder das nationale Gesetzeswortlaut noch der UStAE enthalten Anforderungen diesbezüglich. Unklar ist auch, welche Anforderungen an die Dokumentation zum tatsächlichen Einsatz zu stellen sind (§ 8 Abs. 3 UStG i.V.m. § 18 UStDV).

Beispiel offene Rechtsfrage: Der Vorlieferant eines Reeders, der Privatpersonen von Wilhelmshaven (Deutschland) durch die Küstenmeere von Deutschland, den Niederlanden und Frankreich nach Calais (Frankreich) befördert, müsste nach der geänderten Finanzverwaltungsauffassung dem Reeder Umsatzsteuer in Rechnung stellen. Würde der Reeder dagegen bei derselben Überfahrt überwiegend seewärts der zwölf Seemeilen fahren, dürfte der Vorlieferant dem Reeder dagegen keine Umsatzsteuer in Rechnung stellen. Die zutreffende umsatzsteuerliche Behandlung durch den Vorlieferanten hängt folglich vorrangig von Informationen ab, die dem Vorlieferanten gar nicht vorliegen.[20]

Rechtsunsicherheit: Unklar ist auch, ob die Änderung der Finanzverwaltungsauffassung überhaupt im Einklang mit der nationalen Umsatzsteuervorschrift ist. Zwar sind nationale Umsatzsteuervorschriften von deutschen Gerichten europarechtskonform ausgelegt.[21] Fraglich ist jedoch, ob sich ein Gericht aufgrund des klaren Wortlauts gem. § 8 Abs. 1 UStG an einer europarechtskonformen Auslegung gehindert sehen könnte.[22]

Vertragsverletzungsverfahren Frankreich: Im Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich hatte der EuGH geurteilt, dass für die Anwendung der Umsatzsteuerbefreiung nach Art. 148 Buchst. a) MwStSystRL nicht nur bei Passagierschiffen, sondern bei allen Schiffen erforderlich sei, dass diese auf Hoher See eingesetzt werden.[23] Nach Auffassung des Autors war es folglich nur noch eine Frage der Zeit, bis die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet hätte.[24] Dies könnte die Intention des BMF gewesen sein, den Anwendungsbereich der Norm auf diesem Wege einzuschränken. Es ist jedoch mehr als fraglich, ob durch eine Änderung des UStAE ein Vertragsverletzungsverfahren vermieden werden kann. Zur Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sollte der Gesetzgeber zeitnah tätig werden.

[18] Siehe zur Nichtbeanstandungsregelung: BMF, Schr. v. 18.12.2020 – III C 3 - S 7155/19/10004:001, UR 2021, 209.
[20] Ausführlich: Nellen, Information Asymmetries in EU VAT, 2017.
[21] Siehe hierzu: Neumann in Gosch, Juli 2020, § 4 AO Rz. 40.
[22] Vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, Januar 2020, Einführung zum Umsatzsteuergesetz, Rz. 649.
[23] EuGH, Urt. v. 21.3.2013 – C-197/12 – Kommission/Frankreich, ABl. EU 2013 Nr. C 156, 14.
[24] A.A. Vobbe, MwStR 2019, 697.

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