Gerichtlicher Rechtsschutz ist nur dann effektiv, wenn er nicht zu spät kommt. Deshalb garantieren die Art. 19 Abs. 420 Abs. 3 GG und 6 Abs. 1 EMRK einen Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit. Gefährdungen oder Verletzungen dieses Anspruchs sind in der Praxis eine Ausnahme, aber sie kommen vor.

Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren am 3.12.2011 (vgl. BGBl 2011 I, S. 2302) gab es hierfür – außer Dienstaufsichts- und Verfassungsbeschwerde – keinen speziellen Rechtsbehelf. Diese Rechtslage entsprach nicht der vom BVerfG geforderten Rechtsbehelfsklarheit, die nur dann gegeben ist, wenn ein Rechtsbehelf im geschriebenen Recht steht und in seinen Voraussetzungen für den Bürger klar erkennbar ist (BVerfG, Plenarbeschluss v. 30.4.2003, 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395, 416). Die Rechtslage genügte auch nicht den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1, 13 EMRK (EGMR v. 8.6.2006, 75529/01 [Sürmeli/Deutschland], NJW 2006, S. 2389).

Der Gesetzgeber hat sich mit den im Jahr 2011 in Kraft getretenen Regelungen für eine Entschädigungslösung entschieden und sich dagegen ausgesprochen, einen Rechtsbehelf bei unangemessener Verfahrensdauer einzuführen. Die Entschädigungslösung ist in den §§ 198 bis 201 GVG für die ordentliche Gerichtsbarkeit geregelt. Durch die Verweisvorschrift des § 155 FGO wird auch die Finanzgerichtsbarkeit erfasst (vgl. Schneider/Wolf, 8. Aufl. 2017, § 12a RVG Rz. 62).

§ 198 Abs. 1 GVG regelt einen Entschädigungsanspruch bei unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens, der neben dem Ausgleich von Vermögensnachteilen nach § 198 Abs. 2 GVG auch immaterielle Nachteile umfasst (kompensatorisches Element). Immaterielle Nachteile werden entweder in Geld (§ 198 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 GVG) oder durch eine gem. § 198 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 4 GVG mögliche Wiedergutmachung auf andere Weise kompensiert. Das präventive Element der Regelung enthält § 198 Abs. 3 GVG, der die Entschädigung davon abhängig macht, dass der Verfahrensbeteiligte zuvor eine Verzögerungsrüge erhoben hat. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll diese eine "Warnfunktion" erfüllen und dem bearbeitenden Richter – soweit erforderlich – die Möglichkeit zu einer beschleunigten Verfahrensförderung eröffnen (Stiepel in: Gosch, AO/FGO, 1. Aufl. 1995, 162. Lfg., § 155 FGO Rz. 69; vgl. hierzu bereits ausführlich in Honorargestaltung für Steuerberater 08/2017).

 
Hinweis

Die meisten finanzgerichtlichen Klageverfahren folgen dem 3-Phasen-Modell

Für den ganz überwiegenden Teil der finanzgerichtlichen Klageverfahren lässt sich zum einen feststellen, dass die jeweiligen Verfahrenssituationen und Streitgegenstände im Kern miteinander vergleichbar sind und eine erheblich geringere Varianz zueinander aufweisen als dies in der Verwaltungs- oder Zivilgerichtsbarkeit der Fall ist. In den meisten Fällen geht es darum, dass der Bürger sich gegen einen Geldanspruch wendet, den die Finanzverwaltung durch Steuerbescheid gegen ihn festgesetzt hat, oder – in Gestalt einer Steuervergütung – seinerseits einen Geldanspruch von der Finanzverwaltung begehrt.

Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass der Ablauf der weitaus meisten finanzgerichtlichen Klageverfahren im Wesentlichen einer Einteilung in 3 Phasen (das sog. "3-Phasen-Modell") folgt (vgl. hierzu grundlegend: BFH, Zwischenurteil v. 7.11.2013, X K 13/12, BStBl 2014 II, S. 179).

Das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren (und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren) ist nunmehr seit fast 10 Jahren "im Einsatz". Dies bietet Anlass, die wichtigsten Entscheidungen des nach dem Geschäftsverteilungsplan beim BFH regelmäßig für Streitigkeiten (einschließlich Kostenstreitigkeiten) betreffend die Entschädigung gem. §§ 198 ff. GVG, § 155 FGO zuständigen X. Senats des BFH darzustellen.

Keine Entschädigung bei Rechtsprechungsänderung

Hat der Kläger im Ausgangsverfahren ausschließlich wegen der überlangen Dauer dieses Verfahrens obsiegt, weil zu einem Zeitpunkt, in dem das Ausgangsverfahren bereits als verzögert anzusehen war, eine zugunsten des Klägers wirkende Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in der für das Ausgangsverfahren maßgebenden Rechtsfrage eingetreten ist, hat der Kläger durch die überlange Dauer des Ausgangsverfahrens keinen "Nachteil" erlitten, sodass er weder eine Geldentschädigung noch die Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer beanspruchen kann (BFH, Urteil v. 20.11.2013, X K 2/12, BStBl 2014 II, S. 395).

 
Hinweis

Umstände im Einzelfall entscheidend

Ob eine überlange Verfahrensdauer einen Entschädigungsanspruch begründet, muss unter Berücksichtigung der Umstände im Einzelfall entschieden werden. Sollte sich die überlange Verfahrensdauer – wie hier – sogar zum steuerlichen Vorteil auswirken, scheint es in der Praxis unmöglich, einen "Nachteil" i. S. d. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zu begründen.

Bestimmtheit des Zahlungsantrags auf Geldentschädigung

Bei einer auf die Zahlung einer Gelde...

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