Wird ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen übereignet, haftet der Erwerber für Steuern, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet, und für Steuerabzugsbeträge.[1] Bittet ein Kaufinteressent das Finanzamt um Auskunft über Rückstände an Betriebssteuern und Steuerabzugsbeträgen, für die eine Haftung infrage kommt, kann die Auskunft nur erteilt werden, wenn der Betriebsinhaber zustimmt gem. § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO.[2]

"Unternehmen" ist jede wirtschaftliche Einheit oder organisatorische Zusammenfassung persönlicher oder sachlicher Mittel zur Verfolgung wirtschaftlicher Zwecke. Dazu kann z. B. auch die Vermietung eines Grundstücks gehören.[3] Der Erwerber muss ein lebendes Unternehmen erwerben, das er ohne nennenswerte finanzielle Aufwendungen fortführen kann.[4] Dazu ist erforderlich, dass alle wesentlichen Grundlagen des Unternehmens übereignet werden (ähnlich wie bei §§ 16, 18 EStG).[5]

Eine Haftung entfällt daher, wenn eine wesentliche Betriebsgrundlage, z. B. ein Betriebsgrundstück, zurückbehalten und erst später an den Betriebsübernehmer übereignet wird.[6] Die Grundsätze, die der BFH zum Begriff der wesentlichen Betriebsgrundlage im Rahmen der Betriebsaufspaltung entwickelt hat, gelten auch im Bereich der Betriebsveräußerung und -aufgabe.[7] Ein "gesondert geführter Betrieb" ist ein mit gewisser Selbstständigkeit ausgestatteter, organisch geschlossener Teil eines Gesamtbetriebs, der für sich allein lebensfähig ist.[8] Die Annahme eines Teilbetriebs erfordert ebenfalls eine hinreichende Selbständigkeit des veräußerten Geschäftsbereichs.[9]

 
Praxis-Beispiel

Veräußerung einer Filiale

Ein Unternehmer veräußert eine seiner Filialen. Für die Annahme eines gesondert geführten Betriebs reicht es nicht, dass die Filiale vom Hauptbetrieb räumlich getrennt ist und über eigenes Personal, eine selbstständige Kassenführung und einen eigenen Kundenkreis verfügt. Es muss hinzukommen, dass die Filiale über selbstständige Wareneinkaufsbeziehungen und Preisgestaltung verfügt.[10]

Übereignung bedeutet Übergang des bürgerlich-rechtlichen oder wirtschaftlichen Eigentums.[11] Entgeltlichkeit ist nicht erforderlich.

 
Praxis-Beispiel

Umwandlung schützt nicht vor Haftung

Ein Einzelkaufmann bringt sein Einzelunternehmen in eine neu zu gründende GmbH ein (Ausgliederung). Die GmbH haftet nach § 75 AO für Betriebssteuern des bisherigen Einzelkaufmanns.

Die Haftung des Erwerbers ist ausgeschlossen beim Erwerb des Unternehmens aus einer Insolvenzmasse und für Erwerbe im Vollstreckungsverfahren.[12]

Der Erwerber des Unternehmens haftet für die betrieblichen Steuern des übernommenen Unternehmens und für Steuerabzugsbeträge.[13] Zu den relevanten Steuern zählt u. a. die Umsatzsteuer. "Steuerabzugsbeträge" sind insbesondere die Lohn- und Kapitalertragsteuer. Den Steuern stehen die Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen gleich.[14] Für steuerliche Nebenleistungen wie Säumnis- und/oder Verspätungszuschläge haftet der Übernehmer nicht.

 
Hinweis

Erwerberhaftung bei Kauf eines Unternehmens durch eine Bruchteilsgemeinschaft

Wird ein Unternehmen i. S. d. § 75 AO von mehreren Personen zu Miteigentum nach Bruchteilen erworben, so haften sie aufgrund der gemeinsamen Tatbestandsverwirklichung als Gesamtschuldner.[15]

Zeitlich beschränkt ist die Haftung auf die Betriebssteuern und Steuerabzugsbeträge, die seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahrs, entstanden sind und bis zum Ablauf von einem Jahr nach Anmeldung des Betriebs durch den Erwerber gegen den Veräußerer festgesetzt oder von diesem angemeldet werden.[16] Die Entstehung richtet sich nach den Einzelsteuergesetzen. Auf die Festsetzung und Fälligkeit der Steuern kommt es nicht an. Die Jahresfrist zur Festsetzung beginnt mit der Kenntnis des Finanzamts von der Anmeldung.[17]

 
Praxis-Beispiel

Ermittlung des Haftungszeitraums und begrenzte Frist zur Festsetzung seitens der Behörde

Ein Handwerker hat im Februar 2022 eine Schreinerei erworben (Übergabe: 1.2.2022) und dies dem Finanzamt am gleichen Tag mitgeteilt. Der Verkäufer hat Lohnsteuerschulden aus 2020 und die Umsatzsteuer aus vereinnahmten Erlösen für das IV. Quartal 2021 nicht angemeldet. Der Handwerker haftet nur für die Umsatzsteuer für das IV. Quartal 2021 und etwaige für in 1/2022 entstandene Steuern. Das Finanzamt muss die Umsatzsteuer bis spätestens zum 31.1.2023 gegen den Verkäufer festgesetzt haben. Der Haftungsbescheid kann auch nach Ablauf der Jahresfrist erlassen werden.

Gegenständlich beschränkt ist die Haftung auf den Bestand des übernommenen Vermögens[18], wobei übernommene Schulden nicht abzuziehen sind. Der Erwerber kann auch seine Aufwendungen für den Kauf nicht gegenrechnen. Für den Umfang der Haftung ist der Bestand des übernommenen Vermögens im Zeitpunkt der Inanspruchnahme maßgebend. Sind diese Voraussetzungen einer Unternehmensübereignung erfüllt, wird die Beschränkung der Haftung nach § 75 Abs. 1 Satz 2 AO grundsä...

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