Kein grobes Verschulden: Führt die Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG insgesamt zu einer niedrigeren ESt, kommt eine Änderung des Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nur in Betracht, wenn den Steuerpflichtigen an dem nachträglichen Bekanntwerden der abgegolten besteuerten Kapitaleinkünfte kein grobes Verschulden trifft.

In dem Verfahren VIII R 14/13[12] stellte die Klägerin nach Ablauf der Einspruchsfrist für ihren ESt-Bescheid einen Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG. Der VIII. Senat des BFH lehnte das Vorliegen der Voraussetzungen einer Korrekturvorschrift ab. Zwar wurde der Finanzverwaltung erst nach der Steuerfestsetzung bekannt, dass die Klägerin Kapitaleinkünfte erzielt hatte, die bei der nach § 32d Abs. 6 EStG angeordneten Gesamtbetrachtung der Besteuerungsgrundlagen zu einer niedrigeren Steuer geführt hätten. Eine Korrekturmöglichkeit für derartige neue Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO setzt jedoch voraus, dass den Steuerpflichtigen am nachträglichen Bekanntwerden kein Verschulden trifft. Ein der Änderung entgegenstehendes Verschulden liegt jedoch deswegen vor, weil die Klägerin die Steuerbescheinigung über die einbehaltene KapErtSt bereits vor der Abgabe der ESt-Erklärung erhalten hatte und ihren Steuerberater darüber hätte informieren müssen. Beachten Sie: Sollte sie dies getan haben, wäre die schuldhafte Pflichtverletzung des Beraters der Klägerin wie eigenes Verschulden zuzurechnen.

Tatbestandsmerkmal "niedrigere Steuer": Bei der Beurteilung des Tatbestandsmerkmals "niedrigere Steuer" in § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist die spezielle Wirkungsweise der Abgeltungsteuer zu beachten. Diese führt grundsätzlich dazu, dass Kapitalerträge i.S.d. § 20 EStG nicht in der ESt-Erklärung erklärt werden müssen, soweit sie dem KapErtSt-Abzug unterlegen haben (§ 43 Abs. 5 S. 1 EStG). Da diese Kapitalerträge auch nicht zur Summe der Einkünfte zählen (§ 2 Abs. 5b EStG), ist bei der Prüfung der Korrekturvorschrift nicht zu differenzieren zwischen

  • Steuerfestsetzung (Erhöhung, daher Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO = grobes Verschulden nicht zu prüfen) und
  • Erhebung (Anrechnung).

Der VIII. Senat des BFH stellt nur auf das Ergebnis ab und kommt daher zu dem Schluss, dass § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO (= Änderung zugunsten) zu prüfen ist und ein grobes Verschulden zum Ausschluss der Korrekturmöglichkeit führt.

§ 32d Abs. 6 S. 1 EStG ordnet eine Gesamtbetrachtung an, die auch für die Frage, ob § 173 Abs. 1

  • Nr. 1 EStG (höhere Steuer) oder
  • Nr. 2 EStG (niedrigere Steuer)

einschlägig ist, zu berücksichtigen ist. Somit ist als Vergleichsmaßstab für eine Korrektur nicht allein die im zu ändernden ESt-Bescheid festgesetzte Steuer, sondern auch die vom Abzug vom Kapitalertrag nach § 43 Abs. 5 EStG abgegoltene ESt (25 %) zu berücksichtigen.

Beachten Sie: Hat das FA aber die ESt-Festsetzung wegen anderer nachträglich bekannt gewordener Tatsachen heraufgesetzt (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO), ist die Günstigerprüfung zumindest in dem durch § 351 Abs. 1 AO vorgegebenen Rahmen auf Antrag des Steuerpflichtigen durchzuführen[13].

Soweit neben den Kapitalerträgen mit inländischem Steuerabzug auch solche Kapitalerträge nacherklärt werden, die bisher noch nicht der KapErtSt unterlegen haben, ist die ESt insoweit nicht mit dem KapErtSt-Abzug nach § 43 Abs. 5 S. 1 EStG abgegolten.

Beraterhinweis Vor diesem Hintergrund ist der Steuerpflichtige zur Festsetzung der hierauf nach § 32d Abs. 1 EStG zu ermittelnden Steuer verpflichtet, solche Kapitalerträge gem. § 32d Abs. 3 EStG in seiner ESt-Erklärung anzugeben.

Insoweit erhöht sich

  • einerseits die tarifliche ESt und
  • andererseits die festzusetzende ESt

um den nach § 32d Abs. 1 EStG ermittelten Betrag.

Das FG Niedersachsen[14] hat hierzu die Ansicht vertreten, dass ein etwaiges Verschulden des Antragstellers nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 AO unbeachtlich ist, weil die Tatsachen i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 AO (nacherklärte Kapitalerträge, die erst aufgrund der Günstigerprüfung zu einer niedrigeren Steuer führten) in einem unmittelbaren oder mittelbaren sachlichen Zusammenhang mit Tatsachen i.S.d. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (Kapitalerträge, die bisher noch nicht dem inländischen Steuerabzug unterworfen wurden) stehen.

Ein derartiger unmittelbarer oder mittelbarer Zusammenhang besteht, wenn eine zu einer höheren Besteuerung führende Tatsache die zu einer Steuerermäßigung führende Tatsache ursächlich bedingt, so dass der steuererhöhende Vorgang nicht ohne den steuermindernden Vorgang denkbar ist. Dies gilt auch, wenn sich ein und dieselbe Tatsache sowohl zugunsten wie zu Ungunsten des Steuerpflichtigen auswirkt.

Das FG Berlin-Brandenburg[15] hat die davon abweichende Ansicht vertreten, dass die Einbeziehung der Kapitalerträge mit abgeltender und ohne abgeltender KapErtSt den von § 173 Abs. 1 S. 2 AO normierten unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang begründen kann. Ein unmittelbarer oder mittelbarer Zusammenhang zwischen

  • Tatsachen, die zu einer höheren, und
  • Tatsachen, die zu einer niedrigeren

Steuer führen,...

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