Wünschen die Gesellschafter eine rechtssichere Abfindungsregelung auf Grundlage des vereinfachten Ertragswertfahrens mit wenig Streitpotential ist zudem zu überlegen, § 199 BewG auch in die entgegengesetzte Richtung abzubedingen oder zu modifizieren. Denn die Vorschrift dient bei der abgabenrechtlichen Bewertung von Kapitalgesellschaftsanteilen (Abs. 1) und Beteiligungen an Personengesellschaften (Abs. 2) als Öffnungsklausel. Danach ist das vereinfachte Ertragswertverfahren dann nicht anwendbar, wenn es "zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt." Die Geltung dieser Vorschrift i.R.d. gesellschaftsrechtlichen Bewertung eröffnet die Gelegenheit, den zunächst nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren ermittelten Wert anzugreifen.
Wann eine nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren ermittelte Abfindung ein "offensichtlich unzutreffendes" Ergebnis darstellt, ist nicht legaldefiniert (Riedel in Daragan/Halaczinsky/Riedel, ErbStG/BewG, 3. Aufl. 2017, § 199 BewG Rz. 3; Kreutziger in Kreutziger/Schaffner/Stephany, BewG, 4. Aufl. 2018, § 199 Rz. 6; Heurung / Buhrandt / Gilson, ZErb 2016, 396 [398]). Zutreffend wendet die Literatur hier ein, dass zur Beantwortung der Frage, was ein "unzutreffendes" Ergebnis sei, zunächst einmal das zutreffende Ergebnis bekannt sein muss (Eisele in Rössler/Troll, BewG, Stand: 32. EL 9/2020, § 199 Rz. 7). Daher kann § 199 BewG im Streitfall zur Notwendigkeit eines Sachverständigengutachtens über den "richtigen Wert" führen (Vgl. Meyering StuW 2011, 274, 280). Nicht zur Erhellung trägt die Gesetzesbegründung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zu § 199 BewG (BT-Drucks. 16/11107, 26) bei (vgl. Piltz, DStR 2008, 745 [748]). Danach kommt ein "unzutreffendes Ergebnis" des vereinfachten Ertragswertverfahrens bspw. dann in Betracht, wenn sich i.R.v. Erbauseinandersetzungen oder aus zeitnahen Verkäufen nach dem Bewertungsstichtag, Erkenntnisse über den Wert des Unternehmens oder der Beteiligung herleiten lassen.
Ebenso ungeklärt ist schon für steuerliche Zwecke, wann ein unzutreffendes Ergebnis als "offensichtlich" zu gelten hat, insb. ob hierfür eine betragsmäßige Betrachtung stattfindet oder ob sich das Kriterium der "Offensichtlichkeit" auf die Methode bezieht. Die ErbStR 2019 (R B 199.1 Abs. 5, 6 ErbStR 2019) nennen einige sehr weit gefasste Beispielfälle, in denen eine Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens ausscheiden soll. Unklar ist allerdings weiterhin, ob und inwieweit die ErbStR als Verwaltungsanweisungen, ohne nach außen verbindlichen Normcharakter bei gesellschaftsrechtlicher Auslegung des BewG heranzuziehen sind.
Beraterhinweis Ist mit dem Verweis auf das BewG ein rechtssicheres und wenig streitanfälliges Abfindungsergebnis beabsichtigt, ist daher zu überlegen, die Anwendung des § 199 BewG gesellschaftsvertraglich zu modifizieren oder diese Vorschrift vollständig abzubedingen. Eine Modifikation kann darin bestehen, den Anwendungsbereich zu konkretisieren und genau die Fälle zu beschreiben, in denen eine Abweichung vom vereinfachten Ertragswertverfahren erfolgen soll.