Rz. 131

Soweit das einschlägige DBA keine Missbrauchsklausel enthält, verstößt die einseitige Missbrauchsregelung des Abs. 3 gegen das DBA. Dies ist jedoch als Treaty Override rechtlich möglich (Rz. 3ff.). Zu den abkommensrechtlichen Bedenken gegen die "Aufteilungsklausel" vgl. Rz. 121c.

 

Rz. 132

Die Einschränkung der Steuerentlastung nach § 43b EStG schränkt die Wirkung der Mutter-Tochter-Richtlinie, die nach § 50g EStG die der Zins- und Lizenzrichtlinie ein. Jedoch enthalten Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie und Art. 5 der Zins- und Lizenzrichtlinie Öffnungsklauseln für nationale Vorschriften gegen eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Steuerentlastungen. Die Einschränkungen der Steuerentlastung nach § 43b EStG und § 50g EStG können sich daher auf Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie und auf Art. 5 der Zins- und Lizenzrichtlinie stützen, soweit es sich bei Abs. 3 um eine angemessene Missbrauchsvorschrift handelt.

 

Rz. 133

Die Richtlinien stellen die Definition des "Missbrauchs" nicht in die Regelungskompetenz der einzelnen Staaten; vielmehr ist ein europarechtlicher Begriff des Missbrauchs zugrunde zu legen, wie er sich aus der Rspr. des EuGH ergibt. Dieser Begriff ist also autonom nach europäischem Recht auszulegen (Rz. 138).[1] Soweit die Vorschrift danach den Rahmen für eine angemessene Missbrauchsverhinderungsregelung überschreitet, liegt neben dem Verstoß gegen die genannten beiden Richtlinien zusätzlich auch ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten vor (Rz. 134).

 

Rz. 134

Die Regelung des Abs. 3 greift, jedenfalls in Teilen, in die Grundfreiheiten ein, und zwar die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV, die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV und die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV. Entsprechendes gilt für die EWR-Staaten. Die Notwendigkeit, zur Erzielung der Steuerentlastung ausreichende Funktionen des Leistungsempfängers nachweisen zu müssen, kann eine ausl. Gesellschaft davon abhalten, in deutsche Kapitalgesellschaften zu investieren oder steuerabzugspflichtige Dienstleistungen zu erbringen.

 

Rz. 135

Das wesentliche Problem bei der Anwendung der Grundfreiheiten liegt nicht darin, dass eine Beschränkung der Grundfreiheiten vorliegt (die kaum bestritten werden kann), sondern in der Frage, ob es sich insoweit auch um eine Diskriminierung handelt. Steuerentlastungen nach DBA, nach § 43b EStG und § 50g EStG stehen nur im Ausland ansässigen Stpfl. offen, nicht Inländern, sodass unmittelbar keine Diskriminierung vorliegt. Hier muss aber näher unterschieden werden. Soweit es sich um den Steuerabzug nach § 50a EStG handelt, der durch DBA oder § 50g EStG eingeschränkt oder ausgeschlossen wird (insbes. bei Lizenzen), liegt bereits eine Diskriminierung im Abzugsverfahren vor, da inl. Vergütungsgläubiger nicht dem Steuerabzug unterliegen. Zwar ist das Steuerabzugsverfahren aus Gründen der Sicherung des Steueraufkommens gerechtfertigt[2]; diese Rechtfertigung entfällt aber, wenn die (weitere) Einschränkung durch § 50d Abs. 3 EStG europarechtswidrig wäre, weil sie den Rahmen einer angemessenen Regelung gegen Missbrauch überschreitet. Soweit die KapESt betroffen ist, liegt vordergründig keine Diskriminierung vor, da auch inl. Gesellschafter der KapESt unterliegen.[3] Hier wäre es denkbar, zwischen Abzugs- und Erstattungsverfahren zu trennen; die Diskriminierung läge dann in der Abgeltungswirkung der KapESt, die nur für ausl., nicht für inl. Gesellschafter gilt (§ 50 Abs. 2 EStG; § 50 Abs. 5 EStG a. F.). Die hier diskutierte Frage der Europarechtswidrigkeit würde dann jedoch nur in ein anderes Verfahren, das Erstattungsverfahren, verschoben, aber nicht entfallen.

 

Rz. 136

M. E. wäre eine solche Trennung, die nur die KapESt betrifft, aber formal, würde dem wirtschaftlichen Gehalt des Vorgangs nicht gerecht und, da diese verfahrensrechtliche Trennung selbst wieder eine Belastung der ausl. Gesellschafter zur Folge hat, auch selbst dem Vorwurf der Europarechtswidrigkeit ausgesetzt. Materiell entscheidend ist, dass bei beschränkt stpfl. Gesellschaftern eine Steuer (KSt in der Form der KapESt) erhoben wird, die bei unbeschränkt stpfl. Gesellschaftern nicht entsteht und daher zu keiner Belastung führt. Die nach § 50d Abs. 1 EStG entlastungsberechtigten Gesellschafter sind immer Kapitalgesellschaften; daher unterliegen die Kapitalerträge bei ihnen nach § 8b Abs. 1 KStG bei Beteiligungen ab 10 % nicht der KSt. Auch wenn bei inl. Gesellschaftern diese KapESt erhoben wird (§ 43 Abs. 1 S. 3 EStG) und sie auf das Erstattungsverfahren verwiesen werden, haben sie regelmäßig die Möglichkeit, die Belastung durch die KapESt durch Berücksichtigung dieser Beträge bei den Vorauszahlungen zeitnah zu neutralisieren. Das bedeutet, dass schon im Steuerabzugsverfahren die Belastung für inl. Kapitalgesellschaften, wirtschaftlich betrachtet, geringer ist als bei ausl., denen diese Möglichkeit nicht zur Verfügung steht. Daher entsteht eine Diskriminierung schon im Steuerabzugsverfahren. Der Staat kann dem Vorwurf der...

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