Rz. 14

Werden einem Arbeitnehmer Lohnersatzleistungen oder sonstige Sozialleistungen gewährt, sind diese, z. B. nach § 3 Nr. 2 EStG, steuerfrei (§ 3 Nr. 2 EStG Rz. 2ff.). Diese Steuerfreiheit führt, neben den in Rz. 1 geschilderten Wirkungen, zu besonderen lohnsteuerrechtlichen Konsequenzen, wenn der Arbeitnehmer in einem Teil des Jahres Leistungen (Lohnersatzleistungen) erhalten hat, in dem anderen aber Arbeitslohn bezieht. Bei dem Steuerabzug für den Arbeitslohn werden Jahresfrei- und Pauschbeträge nur zeitanteilig berücksichtigt, während bei einer nachfolgenden ESt-Veranlagung die vollen Jahresbeträge angesetzt werden und damit zu Steuererstattungen führen. Zusammen mit der Dämpfung der Progression durch die steuerfreien Lohnersatzleistungen könnte dies im Einzelfall dazu führen, dass die Lohnersatzleistungen zusammen mit dem zeitweise bezogenen Arbeitslohn über 100 % des bei durchgehender Beschäftigung bezogenen Netto-Arbeitsentgelts hinausgingen.[1]

Um diese Wirkungen zu vermeiden, werden auch Lohnersatz- und Sozialleistungen dem Progressionsvorbehalt unterworfen. Die Regelung kann dazu führen, dass nicht nur keine Erstattung erfolgt, sondern Steuer nachzuzahlen ist (Rz. 79).[2]

Die Regelung ist verfassungsgemäß, da die beabsichtigten Wirkungen (Vermeidung ungerechtfertigter Vorteile) einen ausreichenden Grund für die Regelungen darstellen.[3] Auch die Auswahl der in den Progressionsvorbehalt einbezogenen Lohnersatzleistungen beruht auf sachlichen Erwägungen und ist daher nicht verfassungswidrig.[4] Entsprechend hat der BFH[5] darauf hingewiesen, dass das BVerfG bereits entschieden hat, dass der Progressionsvorbehalt bei Lohnersatzleistungen verfassungsgemäß ist. Es sei daher verfassungsrechtlich unbedenklich, dass Stpfl., die neben stpfl. Einkünften Lohnersatzleistungen bezogen haben, bei gleichem zu versteuernden Einkommen eine höhere ESt zu leisten haben als Stpfl., die keine derartige Leistung bezogen haben. Die Regelung ist seit der Einführung im Jahr 1982 auf weitere Leistungen erweitert worden. Dem Progressionsvorbehalt unterliegen damit nicht nur Lohn-, sondern auch Einkommensersatzleistungen.

 

Rz. 15

Die Regelung des § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG ist konstitutiv in dem Sinne, dass nur die dort genannten Lohn- und Einnahmeersatzleistungen dem Progressionsvorbehalt unterliegen.[6] Die Vorschrift enthält keine allgemeine Regelung, dass alle Leistungen durch den Progressionsvorbehalt erfasst werden. Soweit Einnahmen daher nicht in § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG genannt sind, unterliegen sie nicht dem Progressionsvorbehalt, auch wenn sie steuerfrei sind.[7]

[1] Wolf, DB 1982, 821.
[2] Hahn, BB 1982, 1361
[3] BVerfG v. 3.5.1995, 1 BvR 1176/88, BStBl II 1995, 758; BFH v. 29.4.1988, VI R 74/86, BStBl II 1988, 674; Niedersächsisches FG v. 13.11.1985, IX 395/83, EFG 1986, 409; FG Münster v. 13.6.1989, VI 7815/88 E, EFG 1990, 110; FG des Landes Brandenburg v. 2.11.1994, 1 K 505/93 E, EFG 1995, 328; Kuhn/Hagena, in H/H/R, EStG/KStG, § 32b EStG Rz. 9. m. w. N.; Schiffers, in Korn, EStG, § 32b EStG Rz. 13.
[6] Heinicke, in Schmidt, EStG, 2021, § 32b EStG Rz. 11; Schiffers, in Korn, EStG, § 32b EStG Rz. 23; Kuhn/Hagena, in H/H/R, EStG/KStG, § 32b EStG Rz. 21.

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