1 Allgemeines

1.1 Funktion und Bedeutung der Vorschrift

 

Rz. 1

Nach § 2 Abs. 5 EStG wird das die Bemessungsgrundlage der ESt bildende zu versteuernde Einkommen in der Weise ermittelt, dass bestimmte Freibeträge – und sonstige vom Einkommen abzuziehende Beträge – vom Einkommen abgezogen werden. § 32 Abs. 6 EStG definiert diese Freibeträge: Kinderfreibetrag (sächliches Existenzminimum); zusätzlicher Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf ("Sammelfreibetrag"), bis 2003 in § 32 Abs. 7 EStG a. F.; Haushaltsfreibetrag. Das beim Ansatz des Kinderfreibetrags bzw. Sammelfreibetrags relevante Begriffsmerkmal "zu berücksichtigendes Kind" wird in Abs. 1–5 definiert und "vor die Klammer" gezogen.

 

Rz. 2

Auf diese Definition des Kindbegriffs wird zugleich in anderen Vorschriften unmittelbar oder mittelbar Bezug genommen. Definiert wird damit zugleich ein Tatbestandsmerkmal auch anderer Normen als Voraussetzung für weitere kindbedingte Ermäßigungen. Unmittelbare Verweisungen auf § 32 EStG finden sich z. B. in § 38b Abs. 2 EStG, § 63 Abs. 1 EStG. Nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 EStG werden insbesondere Kinder i. S. von § 32 Abs. 1 EStG beim Kindergeld berücksichtigt. Andere Vorschriften knüpfen mittelbar dadurch an den Kindbegriff des § 32 EStG an, dass sie die Gewährung eines Kinderfreibetrags oder von Kindergeld zur Voraussetzung einer weiteren Vergünstigung machen.[1]

§ 32 EStG kommt damit eine zentrale Bedeutung für den Bereich der Familienbesteuerung zu. Die Regelung wird ergänzt durch § 31 EStG, wonach der Familienleistungsausgleich ab Vz 1996 nicht mehr kumulativ durch Kinderfreibetrag und Kindergeld, sondern durch die alternative Gewährung von Freibeträgen oder Kindergeld gewährleistet wird. Während des Kj. wird in allen Fällen nur das monatliche Kindergeld als Steuervergütung ausgezahlt. Die Freibeträge werden bei der LSt-Berechnung und bei der Festsetzung von ESt-Vorauszahlungen nicht berücksichtigt. Erst nach Ablauf des Kj. wird im Veranlagungsverfahren von Amts wegen geprüft, ob im Einzelfall das Kindergeld ausreicht, um die verfassungsrechtlich gebotene Steuerfreistellung des Kinderexistenzminimums zu bewirken (Günstigerprüfung). Ist dies nicht der Fall, d. h., sind die Freibeträge günstiger, werden bei der Steuerberechnung die Freibeträge abgezogen und das zunächst gezahlte Kindergeld der Jahressteuer hinzugerechnet, sodass es im Ergebnis wieder zurückgefordert wird (§ 31 EStG Rz. 5ff.).

 

Rz. 3

Die Einordnung von § 32 EStG im Abschnitt IV unter "Tarif" ist rechtssystematisch unzutreffend. Sie erklärt sich aus der Entwicklung kindbedingter Entlastungen als Ermäßigung der Steuersätze. Mit dem ESt-Tarif als Regelung, die lediglich an die Steuerbemessungsgrundlage anknüpft (§ 32a EStG), hat § 32 EStG allerdings nichts zu tun.

1.2 Rechtsentwicklung

1.2.1 Entwicklung bis 1985

 

Rz. 4

§ 32 EStG enthielt ursprünglich ab Vz 1949[1] die Regelung des ESt-Tarifs durch Verweisung auf die Tabellen in der Anl. des Gesetzes. Im Rahmen der Steuerklassen, die bereits in den Tarif eingearbeitete Abzüge enthielten, fand sich in § 32 Abs. 4 EStG auch eine Kinderermäßigung mit einer Definition des Kindbegriffs. Als ab Vz 1958[2] der ESt-Tarif im Gesetz selbst geregelt wurde (§ 32a EStG), wurde auch § 32 EStG neu gefasst. Die Vorschrift enthielt seitdem eine Definition des zu versteuernden Einkommens und die Regelung von in ihrem Inhalt häufig wechselnden Freibeträgen, die zur Ermittlung des zu versteuernden Einkommens abzuziehen waren. Im Zusammenhang mit diesen Freibeträgen wurde auch der Kindbegriff definiert, der als Tatbestandsmerkmal für den Kinderfreibetrag bedeutsam ist, daneben aber für eine Vielzahl weiterer Vorschriften die maßgebliche Legaldefinition enthielt.

 

Rz. 5

Die Einkommensteuerreform 1974[3] brachte mit der Umstellung auf ein reines Kindergeldsystem die Streichung aller Kinderfreibeträge und ein vom Einkommen der Eltern unabhängiges Familienlastenausgleichssystem mit einheitlichen Kindergeldbeträgen v. 1. Kind an. Mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1983 v. 20.12.1982[4] wurden wieder neben dem Kindergeld abzuziehende bescheidene Kinderfreibeträge von 432 DM eingeführt. Seit der Einführung des sog. Familienleistungsausgleichs durch das JStG 1996 können Kindergeld und Kinderfreibeträge nur noch alternativ in Anspruch genommen werden. Zur Entwicklung des sog. Familienlastenausgleichs zum Familienleistungsausgleich s. § 31 EStG Rz. 1ff.

 

Rz. 6

Nach früheren Fassungen enthielt Abs. 8 Regelungen über den allgemeinen Tariffreibetrag in Vz 1978 bis 1980, über den Kinderfreibetrag in Vz 1983 bis 1985 gem. § 54 EStG a. F. (Rz. 106), über den Altersfreibetrag in Vz 1986 bis 1989 und über den besonderen Tariffreibetrag für das Beitrittsgebiet in Vz 1991 bis 1993.

[1] Fassung v. 10.8.1949, WiGBl 1949, 266.
[2] G. v. 18.7.1957, BGBl I 1958, 412.
[3] Art. 2 EStReformG v. 5.8.1974, BStBl I 1974, 530.
[4] BStBl I 1982, 235.

1.2.2 Neuregelungen bis zum StReformG 1990

 

Rz. 7

Durch das StSenkG 1986/1988 v. 26.6.1985[1] wurde die Vorschrift ab Vz 1985 völlig umgestaltet.[2] § 32 Abs. 1 EStG, der bis da...

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