Rz. 110

Der Kinderfreibetrag ist nicht ein Freibetrag i. d. S., dass zum Zweck der Begünstigung bestimmte Einkunftsteile von der Besteuerung freigestellt werden, wie z. B. in § 19 Abs. 2, § 20 Abs. 4 EStG. Vielmehr handelt es sich um einen Pauschbetrag[1], der zur Steuervereinfachung typisierend unterstellt, dass Stpfl. mit zu berücksichtigenden Kindern durch den Kindesunterhalt Mehraufwendungen im Vergleich zu Stpfl. ohne Kinder entstehen. Lediglich soweit überhaupt keine oder niedrigere Aufwendungen erwachsen, wirkt der Kinderfreibetrag wirtschaftlich wie ein echter Freibetrag. Der Kinderfreibetrag ist daher seiner Funktion nach keine soziale Subvention, d. h. keine Begünstigung, sondern eine typisierende Konkretisierung des Prinzips der Besteuerung nach der (subjektiven) Leistungsfähigkeit.[2] Entsprechendes gilt für den Freibetrag für den Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (Sammelfreibetrag).

Die Berücksichtigung der Freibeträge erfolgt von Amts wegen; eines Antrags bedarf es nicht. Auf Antrag können die Freibeträge auf einen Eltern-, Großeltern- oder Stiefelternteil übertragen werden (§ 32 Abs. 6 S. 6, 10 EStG).

 

Rz. 111

Die Freibeträge haben Abgeltungswirkung. Mit ihnen sollen grds. alle laufenden Aufwendungen für den Unterhalt, die Betreuung, Erziehung und Ausbildung des Kindes abgegolten werden, unabhängig davon, in welcher Höhe sie angefallen sind, d. h. auch wenn sie in einem Jahr höher als üblich sind.[3] Es kommt auch nicht darauf an, ob den Eltern konkret anfallende Aufwendungen – etwa durch die Betreuung ihres Kindes durch ein Au-Pair – entstanden sind.[4] Zusätzlich zu den Freibeträgen nach § 32 Abs. 6 EStG kann für volljährige auswärts untergebrachte Kinder ein Ausbildungsfreibetrag nach § 33a Abs. 2 EStG gewährt werden. Darüber hinausgehende außergewöhnliche Aufwendungen können nach § 33 EStG (z. B. Krankheitskosten, Unterbringungskosten im Zusammenhang mit körperlichen oder geistigen Gebrechen), bzw. § 33b EStG (Behinderten-Pauschbeträge) zu berücksichtigen sein.[5]

Bis 2008 konnten zudem bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen Betreuungskosten für Kinder unter 14 Jahren bzw. für behinderte Kinder als außergewöhnliche Belastung (§ 33c EStG a. F., Vz 2002 bis 2005) bzw. wie Betriebsausgaben/Werbungskosten (§ 4f EStG a. F., § 9 Abs. 5 a. F. EStG, Vz 2006 bis 2008) abgezogen werden.

Besteht kein Anspruch auf den Kinderfreibetrag, besteht die Möglichkeit, nach § 33a Abs. 1 EStG Unterhaltsaufwendungen als außergewöhnliche Belastung abzusetzen.[6]

 

Rz. 112

Das BVerfG[7] rückte von seiner – die vertikale Steuergerechtigkeit betonenden – Rspr.[8] ab und forderte – nunmehr unter Hervorhebung des Verbots steuerlicher Ungleichbehandlung auf horizontaler Ebene –, dass bei der Einkommensbesteuerung ein Betrag in Höhe des Existenzminimums aller Familienmitglieder steuerfrei bleiben müsse; nur das darüber hinausgehende Einkommen dürfe der Besteuerung unterworfen werden (§ 31 EStG Rz. 4)[9]; der (kleine) Kinderfreibetrag 1983 bis 1985 sei wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG zu niedrig (Rz. 107).

 

Rz. 113

Die o. a. Entscheidungen des BVerfG zum Kindergeld und zu den Kinderfreibeträgen gaben den Anstoß zur Umgestaltung des bisherigen Familienlastenausgleichs zum sog. Familienleistungsausgleich durch das JStG 1996 mit der alternativen Gewährung von Kindergeld oder Kinderfreibetrag (§ 31 EStG Rz. 6).

 

Rz. 114

Das BVerfG[10] stellte die Unvereinbarkeit der Kinderfreibetragsregelungen mit dem GG für 1985, 1987, 1988 bei einem bzw. zwei Kindern fest. Dies gilt aber erst ab bestimmten Grenzsteuersätzen. Veranlagungen, bei denen diese Sätze nicht erreicht werden, sind deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.[11] Das BVerfG bestätigt, das steuerfreie Existenzminimum dürfe den Betrag der im Rahmen der Sozialfürsorge gewährten Leistungen nicht unterschreiten.[12] Bei Familien müsse das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben.[13] Auch bei Beziehern höherer Einkommen sei aus Gleichheitsgründen die verminderte Leistungsfähigkeit aufgrund von Unterhaltsverpflichtungen zu berücksichtigen.[14]

 

Rz. 115

Aus Art. 6 GG (Schutz von Ehe und Familie) leitet das BVerfG die weiteren Maßstäbe für die Bemessung des steuerlich zu verschonenden Existenzminimums ab.[15] Dieses umfasst außer dem sächlichen Existenzminimum, das mit dem Kinderfreibetrag abgedeckt wird, auch den Betreuungsbedarf und den Erziehungsbedarf. Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben kam der Gesetzgeber im FamFG (Rz. 9) mit der Schaffung eines typisierten Betreuungsfreibetrags ab 2000 und im 2. FamFG (Rz. 9a) ab 2002 mit der Einführung des einheitlichen Freibetrags für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf eines Kindes (Sammelfreibetrag) nach (§ 31 EStG Rz. 4).

 

Rz. 116

Die vom BVerfG entwickelten neuen Grundsätze waren für die Kinderfreibeträge rückwirkend für Vz 1983 bis 1995 anzuwenden, und zwar nur in den nicht bestandskräftigen bzw. für vorläufig erklärten Fällen (§ 53 EStG Rz. 4). Dem hat de...

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