Rz. 46

Eine weitere Ungleichbehandlung, die die Einführung der Abgeltungsteuer mit sich bringt, ist die Beschränkung der Verlustverrechnung bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, bei denen der Gesetzgeber einen Verlustausgleich mit den Einkünften der anderen Einkunftsarten künftig ausschließt[1], während Verluste, die bei den Einkünften der anderen Einkunftsarten anfallen, wie bisher im Grundsatz unbeschränkt mit Gewinnen aus anderen Einkunftsarten verrechnet werden können.[2]

 

Rz. 47

M. E. ist der in der Beschränkung der Verlustverrechnung i. S. d. § 20 Abs. 6 S. 2 EStG bei den Einkünften aus Kapitalvermögen liegende Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zunächst nicht durch die Notwendigkeit der Verhinderung missbräuchlicher Steuergestaltungen gerechtfertigt. Zwar können durch die Veräußerung von Kapitalvermögen gezielt Verluste herbeigeführt und zur Verrechnung mit Gewinnen und damit zur Reduktion der Steuerlast verwendet werden. Darin ist aber jedenfalls seit der Einführung der Abgeltungsteuer kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten mehr zu erblicken. Zum einen kann die Steuerbarkeit von Verlusten und die Nichtsteuerbarkeit von Gewinnen aufgrund des Wegfalls der bisherigen Veräußerungsfristen nicht mehr planmäßig gestaltet werden. Die Rechtfertigung der Verlustverrechnungsbeschränkung i. S. d. § 23 Abs. 3 S. 8 und 9 EStG a. F.[3] lässt sich daher nicht auf die Verlustverrechnungsbeschränkung i. S. d. § 20 Abs. 6 S. 2 bis 4 EStG übertragen.[4] Zum anderen stellt die Herbeiführung von Verlustverrechnungspotenzial jedenfalls solange, als der Stpfl. mit Einkünfteerzielungsabsicht handelt, bereits im Ausgangspunkt keinen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten dar. Dies gilt sowohl für den Fall, dass sich der Stpfl. durch die Veräußerung endgültig von der infrage stehenden Kapitalanlage (mit Verlust) trennt, als auch für den Fall, dass er kurze Zeit nach der (verlustrealisierenden) Veräußerung eine vergleichbare Kapitalanlage anschafft. Mit der Veräußerung von Kapitalvermögen (mit Verlust) verstößt der Stpfl. gegen keine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung, sondern macht im Gegenteil von einer Möglichkeit Gebrauch, die ihm das Gesetz gerade einräumt. Stimmt eine steuerliche Gestaltung aber mit den gesetzgeberischen Zielen überein, dann kann es sich nicht um einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten handeln, auch dann nicht, wenn das fragliche Vorgehen allein der Reduktion der Steuerlast dient.[5]

 

Rz. 48

M. E. lässt sich die durch die Beschränkung der Verlustverrechnung i. S. d. § 20 Abs. 6 S. 2 EStG bei den Einkünften aus Kapitalvermögen herbeigeführte Durchbrechung des Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auch nicht dadurch rechtfertigen, dass § 20 Abs. 6 S. 3 und 4 EStG dem Stpfl. die Möglichkeit einräumt, einen in einem Vz nicht ausgeglichenen Verlust aus Kapitalvermögen mit Gewinnen zu verrechnen, die er in künftigen Vz aus Kapitalvermögen erzielt. Abgesehen davon, dass niemals mit Sicherheit gesagt werden kann, ob der Stpfl. Gewinne aus Kapitalvermögen in der zum Verlustausgleich erforderlichen Höhe erzielen wird[6], und dass die Verzögerung der Verlustverrechnung beim Stpfl. zu Liquiditäts- und Zinsnachteilen führen kann[7], stehen sowohl der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG als auch die Eigentumsfreiheit des Art. 14 Abs. 1 GG der Ersetzung eines vollständigen vertikalen Verlustausgleichs durch einen lediglich zeitlich gestreckten horizontalen Verlustausgleich entgegen. Zwar fordern sowohl der Gleichheitssatz als auch die Eigentumsfreiheit eine Ergänzung des umfassenden innerperiodischen Verlustausgleichs durch einen überperiodischen Verlustabzug. Eine Ersetzung der sofortigen Verlustverrechnung durch einen lediglich zeitlich gestreckten Verlustausgleich lässt sich dagegen weder mit der durch den Gleichheitssatz gebotenen zutreffenden Bemessung der periodenbezogenen Leistungsfähigkeit, noch mit der in der Eigentumsfreiheit angelegten Garantie der Privatnützigkeit des Eigentums vereinbaren.[8]

 

Rz. 49

Der in der Beschränkung der Verlustverrechnung i. S. d. § 20 Abs. 6 S. 2 EStG bei den Einkünften aus Kapitalvermögen liegende Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist m. E. allenfalls dadurch gerechtfertigt, dass der Gesetzgeber für die Einkünfte aus Kapitalvermögen einen vom allgemeinen progressiven ESt-Tarif i. H. v. bis zu 45 % abweichenden proportionalen Sondertarif i. H. v. lediglich 25 % eingeführt hat. Denn ist die Einführung des Sondertarifs für die Einkünfte aus Kapitalvermögen als solche gerechtfertigt, dann erfordert eine folgerichtige Umsetzung dieser gesetzgeberischen Grundentscheidung, dass der Sondertarif nicht nur auf Gewinne, sondern auch auf Verluste aus Kapitalvermögen Anwendung findet.[9] Eine Verrechnung proportional niedrig besteuerter Verluste aus Kapitalvermögen mit progressiv hoch besteuerten Gewinnen aus anderen Einkunftsarten lässt sich...

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