Rz. 101

Die Veräußerung oder Aufgabe des ganzen Gewerbebetriebs liegt vor, wenn alle für den Betrieb wesentlichen Teile des Betriebsvermögens (Betriebsgrundlagen) von dem Veräußerungs- oder Aufgabevorgang erfasst werden[1] und dabei alle wesentlichen stillen Reserven des Betriebs realisiert werden[2].

Gewerbebetrieb ist das "gewerbliche Unternehmen" i. S. d. § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG (§ 15 EStG Rz. 17ff.). Er bezeichnet ein bestimmtes Marktverhalten unter Einsatz einer auf einander abgestimmten Sachgesamtheit. Der Begriff ist somit, wie in § 15 Abs. 2 und 3 EStG vorgegeben, sowohl tätigkeits- als auch objektbezogen (Rz. 22, 32). Wegen der Objektbezogenheit ist die Veräußerung eines Gewerbebetriebs ohne Übertragung seiner für ihn wesentlichen Wirtschaftsgüter, also ohne die wesentlichen Betriebsgrundlagen, nicht möglich, erschöpft sich aber auch nicht darin. Als Organisations- und Funktionseinheit des Wirtschaftslebens besteht der Betrieb nicht nur aus einer Ansammlung von Wirtschaftsgütern. Hinzu kommen die erforderlichen wirtschaftlichen Verflechtungen, insbesondere Kunden- und Lieferantenbeziehungen, welche den Einsatz der Wirtschaftsgüter erst wirtschaftlich sinnvoll, "rentabel" machen. Diese Verflechtungen sind zwar i. d. R. nicht rechtlich übertragbar, müssen dem Erwerber des Betriebs indes zur Verfügung stehen, ihm also die Fortsetzung der gewerblichen Betätigung des Veräußerers erlauben, wenn die Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen eine "Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs" i. S. v. § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG darstellen soll. Das ist nicht der Fall, wenn der Veräußerer seine bisherige gewerbliche Betätigung nach Verkauf der bisherigen wesentlichen Betriebsgrundlagen und Anschaffung neuer Wirtschaftsgüter fortsetzt, etwa ein Markthändler seinen mobilen Verkaufsstand als einzige wesentliche Betriebsgrundlage an einen Konkurrenten veräußert und nach Neuanschaffung weiterhin im alten Kundenbereich tätig ist. Selbst die Gewinnung neuer Kunden nach Wiederaufnahme eines veräußerten Betriebs kann Teil der wesentlichen Betriebsgrundlagen des veräußerten Betriebs und damit schädlich sein.[3] Aus diesem Umstand rechtfertigt sich das ungeschrieben Tatbestandsmerkmal der Aufgabe der gewerblichen Tätigkeit (Rz. 31), das insbesondere im Bereich der meist wenig kapitalorientierten selbstständigen Tätigkeiten anschaulich wird (§ 18 EStG Rz. 115).

Ob die alten wirtschaftlichen Beziehungen nach Auflösung der wesentlichen Betriebsgrundlagen weiter genutzt werden oder nicht, kann entscheidend dafür sein, ob der Betrieb aufgegeben ist oder nicht (zur differenzierteren Sicht im Falle einer Teilbetriebsveräußerung oder -aufgabe Rz. 113ff.).

 

Rz. 101a

Ein Stpfl. kann mehrere selbstständige Gewerbebetriebe nebeneinander unterhalten; veräußert er einen davon (oder gibt er ihn auf), so beurteilen sich die Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen danach, ob die veräußerte Einheit einen eigenständigen Gewerbebetrieb darstellt oder nur Teil eines einheitlichen Betriebs ist[4]. Ob mehrere gewerbliche Betätigungen eines Stpfl. jeweils für sich einen sachlich selbstständigen Gewerbebetrieb oder zusammen einen einheitlichen Gewerbebetrieb darstellen, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach dem äußeren Erscheinungsbild des Betriebs aufgrund der Verkehrsanschauung zu beurteilen. Kriterien für die Beurteilung sind der sachliche, wirtschaftliche und organisatorische Zusammenhang, die Art des Betriebs, die Identität des Kunden- und Lieferantenkreises, die Einheitlichkeit der Geschäftsleitung, die Arbeitnehmerschaft und die Zusammensetzung und Finanzierung des Anlagevermögens. Es gelten die zur Frage der Unternehmensidentität bei § 10a GewStG entwickelten Grundsätze[5]. Obiges gilt auch für Freiberufler. Eine steuerbegünstigte Teilpraxisveräußerung kann vorliegen, wenn ein Steuerberater eine Beratungspraxis veräußert, die er (neben anderen Praxen) als völlig selbstständigen Betrieb erworben und bis zu ihrer Veräußerung im Wesentlichen unverändert fortgeführt hat[6].

 

Rz. 102

Personen- und Personenhandelsgesellschaften können – wie auch Kapitalgesellschaften (Rz. 32) – nicht gleichzeitig mehrere selbstständige Gewerbebetriebe unterhalten (Rz. 32 a. E.)[7]. Die Veräußerung oder Aufgabe einer selbstständigen organisatorischen Betriebseinheit einer Mitunternehmerschaft unter Zurückbehalten weiterer Einheiten kann deshalb nur eine Teilbetriebsveräußerung oder -aufgabe sein.

Gegenstand einer Betriebsveräußerung kann auch eine bestrittene, also nur behauptete Berechtigung an einem Gewerbebetrieb sein[8].

Veräußert werden kann auch ein im Aufbau befindlicher Betrieb, der seine werbende Tätigkeit noch nicht aufgenommen hat (Rz. 102)[9].

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