Rz. 10

Das Zu- und Abflussprinzip dient in erster Linie einer vereinfachten Ermittlung der Einkünfte, da auf die Erfassung der Bestände verzichtet wird. Im Rahmen einer einfachen Ist-Rechnung werden lediglich die Zu- und Abflüsse von geldwerten Gütern (dabei handelt es sich im Allgemeinen um Geld, deshalb Geldrechnung) erfasst. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Stpfl. ist jedoch regelmäßig bereits (zeitlich vorher) durch den Erwerb einer entsprechenden Forderung erhöht bzw. durch das Eingehen einer Verbindlichkeit gemindert worden. Im Hinblick auf den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nimmt die Rspr. daher – trotz Berücksichtigung des Vereinfachungszwecks der Ist-Rechnung – eine gewisse Vorverlagerung des Zuflusses und des Abflusses vor. Nicht erst bei einem realen Zufließen oder Abfließen, sondern schon dann wird ein Zufluss bzw. Abfluss angenommen, wenn die Leistung in greifbare Nähe gerückt ist (Rz. 1). Ein Zufluss wird bereits mit der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht angenommen (Rz. 15ff.), ein Abfluss schon dann, wenn der Schuldner das zur Herbeiführung des Leistungserfolgs Erforderliche getan hat (Rz. 27ff.), obwohl zu diesen Zeitpunkten immer noch – lediglich – eine Forderung bzw. eine Verbindlichkeit besteht.

Die gegenüber der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG, § 5 EStG) zeitlich unterschiedliche Erfassung der Einnahmen und der Ausgaben im Zeitpunkt des Zuflusses bzw. Abflusses kann sich einerseits zum Vorteil, andererseits aber auch zum Nachteil des Stpfl. auswirken. Das Zuflussprinzip kann insoweit günstiger sein, als Forderungen nicht bereits mit ihrer Entstehung, sondern erst bei Zahlungseingang erfasst werden. Entsprechend gegenteilig wirkt es sich aus, wenn Vorauszahlungen auf noch zu erbringende Leistungen vereinnahmt werden. Einnahmen, die im Folgejahr zurückzuzahlen sind, werden als Ausgabe (negative Einnahmen) des Rückzahlungsjahres behandelt. Ausgaben, die dem Stpfl. später erstattet werden, sind Einnahmen des Rückflussjahres. Nachteilig im Hinblick auf die Progressionsauswirkung ist vor allem, wenn es – z. B. bei der Abwicklung langfristiger Aufträge – zu der Vereinnahmung des Entgelts für in früheren Vz erbrachte Leistungen in einem Kj. und damit zu einer Zusammenballung von Einnahmen in einem Vz kommt. Eine Kumulation von Ausgaben in einem Kj. kann zu entsprechenden steuerlichen Vorteilen führen. Die Erlangung bzw. der Verlust der wirtschaftlichen Verfügungsmacht kann im Übrigen von Zufälligkeiten abhängen oder in gewissem Umfang auch vom Stpfl. zu seinen Gunsten beeinflusst werden. Dass es durch die Zusammenballung von Einnahmen und Ausgaben in einem Vz bzw. durch die Erfassung wirtschaftlich zusammengehörender Einnahmen und Ausgaben in verschiedenen Kj. zu steuerlichen Zufallsergebnissen und ggf. zu einer erheblichen steuerlichen Be- oder Entlastung kommen kann, hat der Gesetzgeber in Kauf genommen.[1] Die Abweichung gegenüber der Behandlung der Betriebsausgaben und der Betriebseinnahmen bei Bilanzerstellung ist in der Systematik des EStG begründet.[2] Verfassungsrechtliche Bedenken greifen insofern nicht durch.

Durch die Möglichkeit der Steuerung von Einnahmen und Ausgaben besteht für den Stpfl. allerdings ein gewisser Gestaltungsspielraum, solange die Grenze des Rechtsmissbrauchs nicht überschritten ist (§ 42 AO). Bei missbräuchlicher Gestaltung (willkürliche Verzögerung des Zuflusses oder Vorausleistung von Ausgaben) entsteht die Steuer so, wie sie bei einer angemessenen rechtlichen Gestaltung entstanden wäre (Rz. 70 "Missbräuchliche Gestaltungen"). Stpfl., die die Möglichkeit haben, freiwillig Bücher zu führen, können durch den Betriebsvermögensvergleich den durch das strenge Zufluss- und Abflussprinzip ausgelösten Gewinnschwankungen ausweichen.

 

Rz. 11

Die negativen Auswirkungen der Zusammenballung von Einnahmen und Ausgaben in einem Vz sind als systembedingte Folge des Zufluss- und Abflussprinzips grundsätzlich hinzunehmen.[3] Eine auf § 163 Abs. 1 S. 2 AO gestützte Billigkeitsmaßnahme kann daher nur bei erheblichen Härten in Betracht kommen.

 

Rz. 12

Dies ist nur dann der Fall, wenn die zeitliche Zuordnung nach dem Zu- und Abfluss im Einzelfall zu einer Härte führt, die mit dem Gesetzeszweck nicht zu vereinbaren ist.[4] Lt. FG Rheinland-Pfalz ist es nicht sachlich unbillig, wenn zugeflossene Einnahmen, die in einem späteren Vz zurückzuzahlen sind, im Jahr des Zuflusses versteuert werden müssen, auch wenn sich die Rückzahlung im Jahr des Abflusses steuerlich nicht auswirkt.[5]

 

Rz. 13

Aus Billigkeitsgründen lässt die Verwaltung in Ausnahmefällen eine vom Zu- bzw. Abfluss abweichende Berücksichtigung von Einnahmen und Ausgaben zu:

  • Verteilung von privaten Mieterzuschüssen und Mietvorauszahlungen auf die Dauer des Mietverhältnisses (R 21.5 EStR 2015);
  • Behandlung der Rentenzahlungen als nachträgliche Betriebseinnahmen bei Betriebsveräußerung gegen Leibrente (R 16 Abs. 11 EStR 2015).

Darüber hinaus kann im Einzelfall –...

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