Rz. 124

§ 22 UmwStG ist als pauschale Missbrauchsverhinderungsvorschrift konzipiert worden und soll ausschließen, dass der Einbringende eines (Teil-)Betriebs oder Mitunternehmeranteils die Einbringung nur durchführt, um bei einer späteren Veräußerung einen Steuervorteil zu realisieren. Der Steuervorteil kann darin bestehen, dass der Gewinn aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile nur dem Teileinkünfteverfahren bzw. der Steuerfreistellung nach § 8b Abs. 2 und 3 KStG unterliegt, während die unmittelbare Veräußerung des (Teil-)Betriebs oder Mitunternehmeranteils einer höheren Besteuerung unterlegen hätte.

 

Rz. 125

Angesichts des (weiten) Veräußerungsbegriffs i. S. d. § 22 Abs. 1 S. 1 UmwStG sind Veräußerungsvorgänge denkbar, bei denen die vorherige Einbringung nicht zu einem Steuervorteil führt. Dies kann insbesondere bei einer anschließenden entgeltlichen Übertragung zum Buchwert der Fall sein. Dennoch erscheint nach der hier vertretenen Auffassung eine aus innerstaatlicher Sicht einschränkende Auslegung des Veräußerungsbegriffs i. S. d. § 22 Abs. 1 S. 1 UmwStG dahin, dass eine entgeltliche Übertragung keine Veräußerung i. S. d. § 22 Abs. 1 S. 1 UmwStG darstellt, wenn der Einbringende durch die vorherige Einbringung keinen Steuervorteil erlangt hat, als zu allgemein und daher nicht mehr mit dem Wortlaut in Einklang stehend.

 

Rz. 126

Allerdings kann davon ausgegangen werden, dass der weite Veräußerungsbegriff i. S. d. § 22 Abs. 1 S. 1 UmwStG im Zusammenhang mit der pauschalen Missbrauchsunterstellung des § 22 UmwStG nicht im Einklang steht mit Art. 15 Abs. 1 Buchst. a) FRL.[1]

 

Rz. 127

Gem. Art. 15 Abs. 1 Buchst. a) FRL kann ein Mitgliedstaat eine steuerneutrale Einbringung versagen oder rückgängig machen, wenn die Einbringung als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat. Von einem solchen Beweggrund soll ausgegangen werden können, wenn die steuerneutrale Einbringung nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen beruht.

 

Rz. 128

Nach der Rspr. des EuGH[2] dürfen die Mitgliedstaaten sich jedoch nicht darauf beschränken, zwecks Feststellung einer Steuerhinterziehungs- oder -umgehungsabsicht vorgegebene allgemeine Kriterien anzuwenden. Die Mitgliedstaaten müssen vielmehr eine globale Untersuchung jedes Einzelfalls vornehmen, wobei diese Untersuchung gerichtlich überprüfbar sein muss. Eine generelle Vorschrift, mit der bestimmte Gruppen von Vorgängen automatisch als missbräuchlich eingestuft werden, widerspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da sie über das Erforderliche hinausgeht. Auch wenn eine bestimmte Struktur nur für eine begrenzte Zeit geschaffen wird und dies ein Anhaltspunkt für eine Steuerhinterziehung oder -umgehung sein mag, so istes doch nicht ausgeschlossen, dass mit der Umstrukturierung vernünftige wirtschaftliche Gründe verfolgt wurden. Das bloße Streben nach einem rein steuerlichen Vorteil – im Urteilsfall ging es um die Schaffung der Voraussetzungen für eine steuerliche Organschaft – ist nicht als vernünftiger wirtschaftlicher Grund anzuerkennen.

Allgemein hat der EuGH[3] entschieden, dass die Mitgliedstaaten zwar Vermutungsregeln aufstellen können, dann aber die Möglichkeit eines Gegenbeweises zulassen müssen.

 

Rz. 129

Wenn die der Veräußerung der sperrfristverstrickten Anteile vorangegangene Einbringung im weitesten Sinne nicht zu einem Steuervorteil führt oder wenn vernünftige wirtschaftliche Gründe für die Einbringung angeführt werden können, ist davon auszugehen, dass die pauschale Missbrauchsregelung des § 22 Abs. 1 S. 1 UmwStG gegen Art. 11 Abs. 1 Buchst. a) der Fusionsrichtlinie verstößt. Zweifelsfrei wird ein Verstoß gegen die Fusionsrichtlinie jedoch nur anzunehmen sein, wenn der streitige Sachverhalt in den Anwendungsbereich der Fusionsrichtlinie fällt.[4]

[1] Strunk/Kaminski, Stbg. 2007, 472; Förster/Wendland, BB 2007, 631.
[2] EuGH v. 17.7.1997, C-28/95, IStR 1997, 539 – Leur-Bloem.
[3] EuGH v. 12.9.2006, C-196/04, IStR 21006, 670 – Cadbury Schweppes.

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