Rz. 535

Ob die Vorschrift mit den Grundfreiheiten des EU-Vertrags vereinbar ist, hängt davon ab, welchen Anwendungsbereich man ihr zubilligt. Nach der hier vertretenen Auffassung soll die Vorschrift Verlustverrechnungsmöglichkeiten einschränken, die sich aus der Kombination von erweiterter Verlustverrechnung durch Organschaft und eine entsprechende Verlustabzugsmöglichkeit im Ausland ergeben.[1] Dabei ist das Anknüpfen an die Organschaft allein nicht EU-rechtswidrig, da die Organschaft ein reines Inlandsinstitut ist. Dies kann nicht gegen eine von dem AEUV garantierte Grundfreiheit verstoßen. Nach der hier vertretenen Auslegung ergibt sich eine Europarechtswidrigkeit auch nicht aus der Art der von der Regelung erfassten Verluste, da sowohl inl. als auch ausl. Verluste erfasst werden.[2]

 

Rz. 536

Ein Europarechtsbezug entsteht aber dadurch, dass der Verlustabzug von der entsprechenden Behandlung im Ausland abhängig gemacht wird. Im reinen Inlandsfall (Organträger und Organgesellschaft im Inland ansässig, Betriebsstätten im Inland) kommt es zu einer Einmalbesteuerung des Gewinns und einer Einmalberücksichtigung des Verlusts. Tritt die Auslandsbeziehung hinzu (entweder wegen Unterhaltens einer ausl. Betriebsstätte oder Doppelansässigkeit des Organträgers bzw. der Organgesellschaft), kann es zu einer Doppelbesteuerung der Gewinne, dann aber auch zu einer Doppelberücksichtigung der Verluste kommen. Insoweit ist Wertungsgleichheit mit dem reinen Inlandsfall gegeben. § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KStG führt nun dazu, dass diese Wertungsgleichheit gestört wird, indem der doppelte Abzug der Verluste ausgeschlossen wird. Dies stellt für den (inl.) Stpfl. eine Benachteiligung in zweifacher Hinsicht dar:

  • Er riskiert, Gewinne doppelt versteuern zu müssen, Verluste aber nur einmal abziehen zu können.
  • Infolge der Verlustabzugsbeschränkung riskiert er, dass sich Verluste im Ergebnis überhaupt nicht auswirken.[3]

    Hierin besteht bereits ein Eingriff in die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV. Dagegen ist die Kapitalverkehrsfreiheit, Art. 63 AEUV, nicht einschlägig, da sie durch die Niederlassungsfreiheit verdrängt wird. Die Regelung setzt eine Organschaft voraus, die eine Beherrschung der Organgesellschaft verlangt. Daher ist die Niederlassungsfreiheit vorrangig.

 

Rz. 537

Diese beiden genannten Risiken hat der Stpfl. im reinen Inlandsfall nicht. Er kann daher bei einer risikobehafteten Investition dazu tendieren, entweder keine Betriebsstätte im Ausland zu gründen oder die Doppelansässigkeit des Organträgers bzw. der Organgesellschaft zu vermeiden. Beides stellt eine Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV dar. Rechtfertigungsgründe sind nicht vorhanden; insoweit kann auf die Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit in Rz. 529a ff. verwiesen werden. Der Rechtfertigungsgrund der Aufteilung der Besteuerungsrechte kann nicht herangezogen werden, da dann auch die doppelte steuerliche Berücksichtigung von Gewinnen vermieden werden müsste; das ist aber nicht der Fall.[4]

 

Rz. 537a

Dieses Ergebnis kann auch nicht mit dem von den Ländern Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Hamburg vorgebrachten Argument widerlegt werden, die Regelung betreffe inl. und ausl. Unternehmen und stelle daher keine Diskriminierung dar.[5] Auch in diesem Punkt lässt die Stellungnahme der Länder jegliche Sachkenntnis vermissen. Es kommt nicht darauf an, ob eine persönliche Diskriminierung vorliegt. Ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten kann in der Form des Beschränkungsverbots auch darin liegen, dass grenzüberschreitende Sachverhalte, unabhängig davon, ob es sich um inl. oder ausl. Stpfl. handelt, ungünstiger besteuert werden als rein nationale Sachverhalte. Die Regelung behindert Auslandsbeziehungen, indem sie bei doppelt ansässigen Gesellschaften und bei ausl. Betriebsstätten zur Nichtberücksichtigung von Verlusten führt. Daher liegt sehr wohl ein Eingriff in die Grundfreiheiten vor, für die keine Rechtfertigung ersichtlich ist.

 

Rz. 537b

Allerdings lässt sich eine Europarechtswidrigkeit, entgegen der h. M. in der Literatur,[6] nicht aus der Rspr. des EuGH ableiten.[7] Dem entschiedenen Fall lag die britische Loss-relief-Regelung zugrunde. Der britische Stpfl. wollte die Verluste einer britischen Betriebsstätte einer zum gleichen Konzern gehörenden niederländischen Gesellschaft abziehen. Dies hat die britische Steuerverwaltung abgelehnt, weil die Verluste der britischen Betriebsstätte auch in den Niederlanden abzugsfähig waren. Der EuGH hat dies als einen nicht berechtigten Eingriff in die Niederlassungsfreiheit angesehen, allerdings nur deshalb, weil die Einschränkung des "loss relief" nur für ausl. Gesellschaften galt, nicht für britische. Nach dem einschlägigen britischen Recht hätten Verluste einer in UK ansässigen Gesellschaft auf andere Gesellschaften übertragen werden können, auch wenn sie im Ausland steuerlich abziehbar waren. Ausgeschlossen war nur der loss relief bei im Ausland ansässigen Gesellschaften. Der EuGH hat also nicht dar...

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