Rz. 45

Innerhalb der EU führen das Erfordernis des Organträgers mit Geschäftsleitung im Inland und der "doppelte Inlandsbezug" bei der Organgesellschaft zu der Frage, ob eine unzulässige Diskriminierung ausl. Tochtergesellschaften vorliegt. Erleidet eine inl. Tochtergesellschaft Verluste und besteht zu der inl. Muttergesellschaft ein Organschaftsverhältnis, kann der Organträger die Verluste sofort vom eigenen positiven Einkommen abziehen und erzielt dadurch einen erheblichen steuerlichen Vorteil. Ist die Tochtergesellschaft dagegen eine ausl. Gesellschaft, hat sie also weder Sitz noch Geschäftsleitung im Inland, ist keine entsprechende Verlustverrechnung möglich. Ein Stpfl., der eine Tochtergesellschaft gründen will, kann also, zumindest wenn die Tätigkeit der Tochtergesellschaft in erheblichem Umfang risikobehaftet ist, durch die fehlende steuerrechtliche Verlustverrechnungsmöglichkeit wirtschaftlich gezwungen sein, die Tochtergesellschaft nicht im EU-Ausland, sondern im Inland zu gründen. Dadurch wird der Grundsatz der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV verletzt.[1]

 

Rz. 46

Bezüglich des Inlandsbezugs der Muttergesellschaft, also der Voraussetzung, dass sie die Geschäftsleitung im Inland haben muss, liegt ein Eingriff in die Grundfreiheiten der inl. Tochtergesellschaft vor. Bei Bestehen einer Organschaft würde die Tochtergesellschaft nicht zur KSt und GewSt herangezogen werden. Da für die Frage, ob ein Eingriff in die Grundfreiheiten vorliegt, nur auf die Situation des einzelnen Stpfl. abgestellt wird[2], ist es ohne Bedeutung, dass bei der inl. Organschaft der Organträger mit der Steuer belastet, also insgesamt keine Steuerersparnis eintreten würde. Jedoch ist diese Einschränkung der Grundfreiheiten bei der grenzüberschreitenden Organschaft unter dem Gesichtspunkt der Abgrenzung der Besteuerungsrechte gerechtfertigt. Bei Anerkennung der Organschaft zu einem ausl. Organträger würde das Einkommen der Organgesellschaft der KSt entzogen. Auch bei der GewSt wäre die Besteuerung gefährdet. Außerdem wäre nicht sichergestellt, dass der ausl. Staat das Einkommen der inl. Tochtergesellschaft nach seinem Recht besteuern könnte. Daher greift auch der Rechtfertigungsgrund der Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung. Die Voraussetzung, dass der Organträger die Geschäftsleitung im Inland haben muss, ist daher nicht europarechtswidrig.

 

Rz. 47

Für die Frage des Inlandsbezugs der Organgesellschaft kann die Entscheidung des EuGH v. 13.12.2005[3] herangezogen werden. Darin ging es darum, ob Verluste von 3 europäischen Tochtergesellschaften bei der Muttergesellschaft in Großbritannien aufgrund des sog. group relief abgezogen werden können.[4] Der EuGH führt aus, dass der Nichtabzug der Verluste ausl. Tochtergesellschaften bei der Muttergesellschaft grds. gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EGV (jetzt Art. 49 AEUV) verstößt, wenn der Verlustabzug bei einer inl. Tochtergesellschaft möglich ist. Nach Auffassung des EuGH ist diese Diskriminierung aber wegen überwiegender Gemeinwohlinteressen gerechtfertigt. Zwar liefere der Umstand, dass spätere Gewinne der Tochtergesellschaft nicht im Inland versteuert werden können, keine ausreichende Rechtfertigung. Ein Ausschluss des Verlustabzugs lasse sich aber mit der Aufteilung der Besteuerungsrechte durch DBA begründen. Wenn das Besteuerungsrecht dem ausl. Staat zugeordnet worden sei, müssten die Verluste nicht in das Inland übernommen werden. Andernfalls würde die Ausgewogenheit des DBA gestört. Die Einschränkung des Verlustabzugs sei auch gerechtfertigt, um einen doppelten Verlustabzug und die Steuerflucht zu verhindern, indem Verluste in den Staat mit den höchsten Steuersätzen verlagert würden.

 

Rz. 48

Allerdings sieht der EuGH den vollständigen Ausschluss des Verlustabzugs angesichts dieser Rechtfertigungsgründe nicht als notwendig an. So müsse ein Verlustabzug im Staat der Muttergesellschaft möglich sein, wenn bei der Tochtergesellschaft ein unausgeglichener Verlust verbleibt, nachdem diese alle Wege des Verlustabzugs, des Verlustrücktrags und des Verlustvortrags ausgeschöpft habe, und keine Möglichkeit mehr bestehe, den Verlust in Zukunft bei der Tochtergesellschaft oder einem Dritten zu berücksichtigen (finale Verluste). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen habe der Stpfl. nachzuweisen. Andererseits seien die Zinsnachteile aus der u. U. verspäteten Verlustberücksichtigung nicht ausschlaggebend.[5]

 

Rz. 49

Noch eindeutiger hat der EuGH im Urteil v. 25.2.2010[6] die Notwendigkeit, eine grenzüberschreitende Organschaft aus europarechtlichen Gründen zuzulassen, verneint. In dem Fall ging es um eine niederländische "steuerliche Einheit", die nur mit in den Niederlanden ansässigen Tochtergesellschaften gebildet werden kann. Im Streitfall hat der EuGH zwar eine Ungleichbehandlung bei ausl. Tochtergesellschaften gegenüber inl. Tochtergesellschaften angenommen. Er hat insbesondere das Argument der Staaten, die Stellungnahmen eingereicht hatten, zurückgewiesen, dass ein nicht ve...

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