Rz. 559

Als Quintessenz der Beispielsfälle ist festzuhalten: Legt man die Vorschrift nach ihrem Wortlaut aus, werden Konstellationen der Schenkungsteuer unterworfen, bei denen es an einer objektiven Bereicherung des Steuerpflichtigen fehlt. Das Bereicherungsprinzip ist ein zentrales Prinzip des Erbschaftsteuerrechts, weswegen § 7 Abs. 8 S. 1 ErbStG mit dem aus dem Gleichheitssatz abgeleiteten sog. Willkürverbot in Konflikt gerät. Es ist nicht mehr erkennbar, dass der Gesetzgeber die einmal aus § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG als Grundtatbestand getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umsetzt.[1] Das Bereicherungsprinzip ist ein systemtragendes Prinzip, welches nicht willkürlich durchbrochen werden darf. Die rein fiskalisch begründete Durchbrechung einer gesetzgeberischen Grundentscheidung ist gleichheitsrechtlich nicht gerechtfertigt.[2] Deswegen wird sich die Rspr. mit der Frage einer verfassungskonformen Auslegung auseinandersetzen müssen. Nach Ansicht von Borggräfe/Staud[3]

genügt § 7 Abs. 8 ErbStG darüber hinaus nicht dem verfassungsrechtlichen Typus der Besteuerung der "Zuwendungsbereicherung" und widerspricht damit der Einordnung der Erbschaftsteuer als Verkehrssteuer[4] gem. Art. 106 Abs. 2 Nr. 3 GG.[5]

Diese Argumentation müsste in der Konsequenz auf sämtliche Fiktions-Tatbestände des ErbStG, namentlich § 7 Abs. 7 ErbStG, ausgeweitet werden und dürfte nicht auf § 7 Abs. 8 ErbstG begrenzt bleiben. Dabei muss aber zugleich bedacht werden, dass es dem Steuergesetzgeber im verfassungsrechtlichen Rahmen grundsätzlich auch erlaubt ist, systemwidrige Regelungen zu schaffen. Ihm verbleibt ein weitreichender Entscheidungsspielraum.[6]

 

Rz. 560

Die Norm wirft noch ein weiteres, bislang nur wenig diskutiertes verfassungsrechtliches Problem auf. Wie bereits erwähnt ging es der die Gesetzesänderung initiierenden FinVerw um die Schließung einer konkreten, als gleichheitswidrig angesehenen Besteuerungslücke. Die gesamte Gesetzesbegründung ist darauf angelegt, die Schließung dieser Besteuerungslücke als notwendig und gerechtfertigt zu beschreiben. Darin bestand der subjektive "Wille" des Gesetzgebers. Vergleicht man den Wortlaut des Gesetzestextes mit der ausführlichen Begründung des Gesetzes, dann weist der Gesetzestext einen erheblich überschießenden Charakter auf, der mit dem eigentlichen konkreten Fall der Lückenschließung nichts mehr zu tun hat. Der Text stimmt mit dem Willen des Gesetzgebers bei einer Vorschrift des Eingriffsrechts in zentralen Punkten nicht überein. Der überschießende Wortlaut wurde durch einen koordinierten Ländererlass[7] und R E 7.5 ErbStR 2019 nach dem freien Ermessen der Verwaltung – allerdings ohne Bindungswirkung für die Gerichte – reduziert. Da die Sachherrschaft für die Gesetzesänderung in § 7 Abs. 8 S. 1 ErbStG nur noch formal beim Gesetzgeber liegt, materiell aber bei der Exekutive, wird man darüber nachdenken müssen, ob das Gesetz nicht wegen Verstoßes gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz verfassungswidrig sein könnte.[8]

[2] Vgl. BVerfG v. 21.6.2006, BVerfGE 116, 164, 182: "Ungleiche Belastungen durch Konkretisieren der Ausgestaltung der steuerrechtlichen Grundentscheidungen können nicht schon allein mit dem Finanzbedarf des Staates oder einer knappen Haushaltslage gerechtfertigt werden. Auch wenn der Staat auf Einsparungsmaßnahmen angewiesen ist, muss er auf die gerechte Verteilung der Lasten achten".
[3] Borggräfe/Staud, DB 2020, 77, 84.
[4] Hannes/Holtz, in Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG 2021, Einführung Rz. 1; Loose, in v. Oertzen/Loose, ErbStG 2017, § 7, Rz. 564.
[5] Borggräfe/Staud, DB 2020, 77, 85.
[6] Hannes/Holtz, in Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG 2021, Einführung Rz. 9.
[7] Koordinierter Ländererlass v. 20.4.2018, Schenkungen unter Beteiligung von Kapitalgesellschaften und Genossenschaften, BStBl I 2018, 632, Tz. 3.
[8] Zustimmend Borggräfe/Staud, DB 2020, 77, 84.

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