Rz. 36

§ 6 Abs. 3 ErbStG enthält Sonderregelungen für die Besteuerung der Nacherbfolge, sofern diese nicht durch den Tod des Vorerben – und damit vorzeitig – eintritt. Bei dem vom Erblasser bestimmten Kriterium für einen solchen vorzeitigen Eintritt der Nacherbfolge kann es sich um ein zukünftiges gewisses oder ungewisses Ereignis handeln, z. B. die Erlangung der Volljährigkeit des Vorerben oder die Wiederverheiratung des zum Vorerben eingesetzten überlebenden Ehegatten.[1] Mit Eintritt des jeweiligen Ereignisses fällt die Nacherbschaft automatisch dem oder den eingesetzten Nacherben an. Nach der Grundregel des § 6 Abs. 3 S. 1 ErbStG gilt in diesen Fällen die Vorerbfolge als auflösend bedingter, die Nacherbfolge als aufschiebend bedingter Anfall. § 6 Abs. 3 S. 2 ErbStG ordnet an, dass dem Nacherben die vom Vorerben entrichtete Steuer abzüglich des Steuerbetrags anzurechnen ist, der der tatsächlichen Bereicherung des Vorerben entspricht (Rz. 39 ff.).

[1] Wilhelm, NJW 1990, 2857.

4.1 Besteuerung des Vorerbfalls

 

Rz. 37

Tritt die Nacherbfolge nicht erst mit dem Tod des Vorerben ein, gilt die Vorerbfolge als auflösend bedingter Anfall, was vor dem Hintergrund des § 5 Abs. 2 BewG an sich eine Berichtigung der Steuerfestsetzung gegenüber dem Vorerben zu Folge hätte. An der Besteuerung des Vorerbfalls ändert sich jedoch durch den vorzeitigen Eintritt der Nacherbfolge im Nachhinein nichts – der Vorerbe wird mit seinem Erwerb durch Erbanfall gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG wie ein endgültiger Vollerbe besteuert. Eine Erstattung der bereits entrichteten Steuer ist ausgeschlossen.[1] Lediglich die Besteuerung des Nacherben ist insoweit betroffen, als dieser teilweise die (endgültige) Steuer des Vorerben auf seine Steuerschuld aus dem Anfall der Nacherbschaft anrechnen kann. Von dieser Anrechnung ist lediglich die Steuer ausgeschlossen, die auf eine beim Vorerben trotz Eintritts der Nacherbfolge verbleibende Bereicherung entfällt.[2]

[1] Krit. Mirbach/Egelhof, in Wilms/Jochum, ErbStG, § 6 Rz. 56.
[2] Weinmann, in Moench/Weinmann, ErbStG, § 6 Rz. 35.

4.2 Besteuerung des Nacherbfalls

 

Rz. 38

Die Regelung des § 6 Abs. 3 S. 1 ErbStG bedeutet aus Sicht des Nacherben zunächst, dass dieser aufgrund des Eintritts der aufschiebenden Bedingung die Nacherbschaft nicht vom Vorerben, sondern vom Erblasser erwirbt. Damit ist der Besteuerung der Nacherbfolge das Verhältnis des Nacherben zum Erblasser zugrunde zu legen, was maßgeblichen Einfluss auf die Steuerklasse und den persönlichen Freibetrag hat. Ein Antrag auf Besteuerung im Verhältnis zur Person des Vorerben ist mangels Analogiefähigkeit des § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG nicht möglich.[1] Da die Erbschaftsteuer auf den Vorerbfall nach § 20 Abs. 4 ErbStG aus den Mitteln der Vorerbschaft zu entrichten ist, ist der Nacherbe insoweit auch nicht bereichert, wobei der Anrechnungsanspruch des Nacherben gem. § 6 Abs. 3 S. 2 ErbStG (Rz. 39 ff.) keine Auswirkungen auf den Wert der Nacherbschaft hat und diesen nicht erhöht.[2] Der Grundsatz der Versteuerung der Nacherbschaft im Verhältnis zum Erblasser gilt auch in den Fällen, in denen der Vorerbe vor Eintritt des die Nacherbschaft auslösenden Ereignisses verstirbt und der Vorerbe (zunächst) von seinen gesetzlichen oder testamentarischen Erben beerbt wird.[3] Eine Versteuerung im Verhältnis vom Nacherben zum Vorerben kann dadurch erreicht werden, dass der Vorerbe die Nacherbschaft vorzeitig herausgibt, was nach § 7 Abs. 1 Nr. 7 ErbStG zu einer Schenkung unter Lebenden des Vorerben an den Nacherben führt.[4]

[1] BFH v. 10.5.1972, II 78/64, BStBl II 1972, 765; Weinmann, in Moench/Weinmann, ErbStG, § 6 Rz. 32; dazu auch Rz. 31.
[3] Gottschalk, in T/G/J/G, ErbStG, § 6 Rz. 112.
[4] Rz. 19; § 7 ErbStG Rz. 431 ff.; Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 2021, § 6 Rz. 23.

4.3 Steueranrechnung

 

Rz. 39

Die aufseiten des Nacherben anrechenbare Steuer ist nach § 6 Abs. 3 S. 2 ErbStG die tatsächlich entrichtete Steuer des Vorerben abzüglich der Steuer, die dessen tatsächlicher Bereicherung entspricht. Die tatsächlich vom Vorerben entrichtete Steuer bemisst sich nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Steuerentstehung, mithin nach dem Tod des Erblassers. Die Steuer auf die tatsächliche Bereicherung des Vorerben erfasst demgegenüber fiktiv den Vermögenszuwachs, den der Vorerbe aufgrund der auflösend bedingten und damit zeitlich beschränkten Stellung als Vorerbe erzielt hat.[1]

 

Rz. 40

Eine entsprechende Bereicherung des Vorerben kann unterschiedliche Ursachen haben. In Betracht kommen z. B. eine Entnahme von Gegenständen aus dem Nachlass mit dem Willen des Erblassers, Entnahmen ohne Ersatz (Surrogat) bei befreiter Vorerbenstellung und gezogene Nutzungen bzw. Erträge, die – entsprechend einem Nießbrauch – mit dem Kapitalwert angesetzt werden.[2] Da § 6 Abs. 3 S. 2 ErbStG auf die tatsächliche Bereicherung abstellt, sind andererseits Aufwendungen des Vorerben auf die Vorerbschaft bzw. gegenüber dem Nacherben bereicherungsmindernd abzuziehen.[3] Dies gilt nach § 10 Abs. 8 ErbStG ausdrücklich nicht für die eigene Erbschaftste...

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