Rz. 29

Die Fiktion des § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG mit der Versteuerung der Nacherbschaft nach dem Verhältnis zur Person des Vorerben kann in Einzelfällen zu steuerlichen Nachteilen führen. Vor diesem Hintergrund ist nach § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG auf Antrag des Nacherben der Besteuerung der Nacherbschaft das Verhältnis des Nacherben zur Person des Erblassers zugrunde zu legen, da es letztlich der Erblasser ist, von dem der Nacherbe seine Nacherbenstellung ableitet und damit die Nacherbschaft erlangt hat. Ein solcher Antrag kann von jedem Nacherben individuell gestellt werden[1]; er ist spätestens bis zur Bestandskraft der Steuerfestsetzung gegenüber dem FA abzugeben und bedarf keiner besonderen Form.

 

Gestaltungshinweis:

Ein entsprechender Antrag bietet sich an, wenn eine Versteuerung im Verhältnis zum Erblasser aufgrund des engeren Verwandtschaftsverhältnisses zu einem steuerlich günstigeren Ergebnis führt.[2]

 
Praxis-Beispiel

Eine Erblasserin setzt ihre Tochter zur Vorerbin und ihren Sohn zum Nacherben ein. Nach der Grundregel des § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG versteuert der Sohn den Erwerb der Nacherbschaft als von seiner Schwester stammend nach der Steuerklasse II. Stellt der Sohn den Antrag nach § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG, wird der Besteuerung das Verwandtschaftsverhältnis zu seiner Mutter als Erblasserin zugrunde gelegt, womit die Steuerklasse I zur Anwendung kommt.

 

Rz. 30

Die Formulierung "Verhältnis des Nacherben zum Erblasser" ist nach h. M. umfassend zu interpretieren.[3] Der RFH vertrat zur Vorgängerregelung (§ 7 Abs. 2 S. 2 ErbStG 1925) noch eine restriktive Interpretation und wandte auf eine antragsmäßige Besteuerung im Verhältnis zum Erblasser lediglich die entsprechende Steuerklasse gemäß dem Verwandtschaftsverhältnis an.[4] Der BFH hat unter Hinweis auf den Gesetzeszweck eine derartig enge Auslegung des § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG abgelehnt, ohne allerdings dessen Grenzen abzustecken bzw. aufzuzählen, welche Besteuerungskriterien im Einzelnen vom Regelungsgehalt der Vorschrift umfasst sein sollen. Bislang hat der BFH entschieden, dass sich im Fall eines Antrags nach § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG (zumindest) die Steuerklasse, der Steuersatz und die persönlichen Freibeträge nach dem Verhältnis des Nacherben zum Erblasser bestimmen.[5] Nach Ansicht des BFH soll die Anwendung des § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG jedoch nicht zur Folge haben, dass auch i. R. d. § 14 ErbStG der Erwerb der Nacherbschaft mit früheren Erwerben vom Erblasser zusammenzurechnen ist; ungeachtet einer Versteuerung der Nacherbschaft "im Verhältnis zum Erblasser" soll vielmehr eine Zusammenrechnung mit weiteren Erwerben des Nacherben vom Vorerben erfolgen.[6] Das Verhältnis zum Erblasser bestimmt somit m. E. folgende Besteuerungsmerkmale[7]:

  • beschränkte bzw. unbeschränkte Steuerpflicht gem. § 2 Abs. 1, 3 ErbStG
  • Anwendung von DBA
  • Zugewinnausgleich gem. § 5 ErbStG
  • Anrechnung ausländischer Erbschaftsteuer gem. § 21 ErbStG.

    Haben mehrere Erblasser denselben Vorerben und nach dessen Tod denselben Nacherben eingesetzt, steht dem Nacherben auf Antrag nach § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG für alle der Nacherbfolge unterliegenden Erbmassen insgesamt lediglich ein Freibetrag zu. Der Nacherbe muss in seinem Antrag angeben, welches Verhältnis zu welchem ursprünglichen Erblasser der Versteuerung zugrunde gelegt werden soll. Danach richten sich der Freibetrag und die Steuerklasse für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen.[8]

 

Rz. 31

Der Antrag des Nacherben i. S. d. § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG ist wirkungslos, wenn im Verhältnis des Nacherben zum Erblasser das gleiche Verwandtschaftsverhältnis wie zum Vorerben besteht. Ist das Verwandtschaftsverhältnis zum Erblasser ungünstiger als zum Vorerben, geht der Antrag ebenfalls ins Leere.[9] Die Regelung des § 6 Abs. 2 S. 2 ErbStG ist zudem grds. nicht analogiefähig, womit sie auf die Fälle eines vom Zuwender angeordneten zeitlichen Aufeinanderfolgens mehrerer Schenkungen unter Lebenden etc. keine Anwendung finden kann.[10] Beantragt der Nacherbe die Versteuerung im Verhältnis zum Erblasser, trägt er die Feststellungslast für den Umstand, dass im Nachlass des Vorerben der Nacherbfolge unterliegendes Vermögen mit einem bestimmten Wert enthalten ist.[11]

[1] RFH v. 10.10.1935, III e A 15/35, RStBl 1935, 1485.
[2] Gottschalk, in T/G/J/G, ErbStG, § 6 Rz. 90 ff.; Moench, DStR 1987, 139, 141 f.
[3] Gottschalk, in T/G/J/G, ErbStG, § 6 Rz. 93ff. m. w. N.
[4] RFH v. 8.7.1937, III e A 78/36, RStBl 1937, 974; RFH v. 9.3.1939, III e 4/39, RFHE 46, 247.
[7] Gl. A. Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 2021, § 6 Rz. 17; Mirbach/Egelhof, in Wilms/Jochum, ErbStG, § 6 Rz. 43; hierzu auch Löcherbach, in V/S/W, ErbStG, 2023, § 6 Rz. 20 ff.
[9] Moench, DStR 1987, 139, 141 f.
[10] Gl. A. z. B. Weinmann, in Moench/Weinmann, ErbStG, § 6 Rz. 21; FG Niedersachsen v....

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