1 Allgemeines

 

Rz. 1

Die in dieser Vorschrift bestimmte Kleinbetragsgrenze dient der Verwaltungsvereinfachung.[1] Die Kleinbetragsgrenze gilt sowohl bei Erwerben von Todes wegen als auch bei Schenkungen unter Lebenden. § 22 ErbStG begründet einen Rechtsanspruch darauf, dass das FA von der Festsetzung einer Steuer von nicht mehr als 50 EUR absieht.[2] Ein Ermessen steht dem FA insoweit nicht zu.

 

Rz. 2

Die Kleinbetragsgrenze gilt nach dem Wortlaut des § 22 ErbStG "für den einzelnen Steuerfall". Bei einem Erbfall mit mehreren Beteiligten ist deshalb nicht auf die Gesamtheit der Erwerbe, sondern auf den einzelnen Vermögensfall bei jedem einzelnen Erwerber abzustellen.[3]

 

Rz. 3

Die Kleinbetragsgrenze ist eine Freigrenze. Wird diese Grenze von 50 EUR überschritten, ist die Steuer in voller Höhe (d. h. ohne Abzug von 50 EUR) festzusetzen.[4]

 

Rz. 4

Bei der jährlichen Besteuerung nach § 23 ErbStG gilt die Kleinbetragsgrenze für den Gesamtbetrag der Jahressteuerbeträge und nicht für den einzelnen Jahressteuerbetrag.

 

Rz. 4a

Der Vereinfachungseffekt des § 22 ErbStG ist überschaubar. § 22 ErbStG enthebt nämlich die Verwaltung nicht der Verpflichtung, den steuerpflichtigen Erwerb zu ermitteln und zu bewerten, sondern ermächtigt lediglich dazu, von der Festsetzung der Steuer abzusehen.[5] Die eigentliche Herausforderung der Verwaltung besteht jedoch darin, dass aus der Vielzahl der Anzeigen diejenigen Fälle herausgefiltert werden müssen, denen fiskalische Relevanz zukommt.[6] Dabei ist gem. § 88 AO der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns zu beachten. Im Vergleich hierzu sind die Einsparpotenziale aufgrund des § 22 ErbStG von vernachlässigbarem Gewicht.

[1] BT-Drs. VI/3418, 73.
[2] Reich, in v. Oertzen/Loose, ErbStG, 2. Aufl. 2020, § 22 Rz. 1.
[3] H E 22 ErbStH 2019 "Anwendung der Kleinbetragsgrenze nach § 22 ErbStG in Erbfällen"; Reich, in v. Oertzen/Loose, ErbStG, 2. Aufl. 2020, § 22 Rz. 6.
[4] Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 18. Aufl. 2021, § 22 Rz. 1.
[5] S. a. Jülicher, in T/G/J/G, ErbStG, § 22 Rz. 2.
[6] Ähnlich Reich, in v. Oertzen/Loose, ErbStG, 2. Aufl. 2020, § 22 Rz. 2.

2 Praktische Auswirkungen

 

Rz. 5

Aufgrund der Kleinbetragsgrenze bleiben Erwerbe – ohne Berücksichtigung der Freibeträge nach § 16 ErbStG – in folgender Höhe steuerfrei:

Steuerklasse I: 799,99 EUR[1]

Steuerklasse II: 399,99 EUR[2]

Steuerklasse III: 199,99 EUR[3]

Unter Berücksichtigung des Freibetrags nach § 16 ErbStG ist z. B. der Erwerb eines Kindes in der Steuerklasse I Nr. 2 bis 400.799,99 EUR steuerfrei.[4]

[1] Abrundung auf 700 EUR gem. § 10 Abs. 1 S. 6 ErbStG, also bei Steuersatz 7 % = Steuer 49 EUR.
[2] Abrundung auf 300 EUR gem. § 10 Abs. 1 S. 6 ErbStG, also bei Steuersatz 15 % = Steuer 45 EUR.
[3] Abrundung auf 100 EUR gem. § 10 Abs. 1 S. 6 ErbStG, also bei Steuersatz 30 % = Steuer 30 EUR.
[4] Zur Nutzung bei der Steuergestaltung Reich, in v. Oertzen/Loose, ErbStG, 2. Aufl. 2020, § 22 Rz. 7; Reich, DStR 2001, 1148.

3 Kleinbetragsverordnung

 

Rz. 6

Daneben ist bei der Festsetzung von Erbschaft- und Schenkungsteuer gem. § 1 Abs. 1 Nr. 4 KBV die aufgrund § 156 Abs. 1 S. 1 AO erlassene Kleinbetragsverordnung[1] zu beachten. Die aktuelle Fassung der Kleinbetragsverordnung ist anwendbar auf Steuern, die nach dem 31.12.2016 entstanden sind.[2]

 

Rz. 7

Nach der Kleinbetragsverordnung unterbleiben Änderungen der Steuerfestsetzung, wenn bestimmte betragsmäßige Grenzen nicht überschritten sind. Nicht erfasst werden erstmalige Festsetzungen[3], sondern nur die Änderung von Steuerbescheiden gem. §§ 172 ff. AO und spezialgesetzlichen Normen und deren Berichtigung gem. § 129 AO. Die Kleinbetragsverordnung gilt auch für das Rechtsbehelfsverfahren und Steuerfestsetzungen nach §§ 164, 165 AO. Auch die Änderung eines Freistellungsbescheids oder einer Ablehnung eines Antrags auf Steuerfestsetzung fällt unter die Kleinbetragsregelung.

 

Rz. 8

§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KBV sieht vor, dass Festsetzungen der Einkommensteuer nur geändert oder berichtigt werden, wenn die Abweichung von der bisherigen Festsetzung bei einer Änderung oder Berichtigung zugunsten des Stpfl. mindestens 10 EUR und bei einer Änderung oder Berichtigung zuungunsten des Stpfl. mindestens 25 EUR beträgt.[4]

 

Rz. 9

Wird die Berichtigung in einem Fall erforderlich, in dem die Steuer zunächst wegen Nichtüberschreitens der Kleinbetragsgrenze nicht erhoben worden ist, so ist für die Anwendung des § 1 Abs. 1 KBV von der Steuer auszugehen, die sich ohne § 22 ErbStG ergeben hätte. Zu einer erstmaligen Steuerfestsetzung kommt es aber nur dann, wenn sowohl die Voraussetzungen des § 22 ErbStG als auch die des § 1 Abs. 1 KBV erfüllt sind. Zum Zusammenwirken von § 22 ErbStG und § 1 Abs. 1 KBV das nachfolgende Beispiel[5]:

 
Bisherige Steuer (EUR) Neue Steuer (EUR) Differenzbetrag (EUR) Neue Steuerfestsetzung (EUR)
100 150 50 150
100 118 18 § 1 KBV: unterbleibt
0 (materiell 20) 45 25 § 22 ErbStG: unterbleibt
0 (materiell 45) 50 5 § 1 KBV: unterbleibt
0 (materiell 45) 70 25 70
[1] Art. 26 Gesetz zur Umrechnung und Glättung steuerlicher EUR-Beträge (Steuer-Euroglättungsgesetz – StEuglG) v. 19.12....

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