1 Allgemeines

 

Rz. 1

§ 19 Abs. 1 ErbStG bestimmt die auf den jeweiligen Erwerb anzuwendenden Steuersätze und ist damit die zentrale Tarifnorm des ErbStG. Es handelt sich um einen einheitlichen Steuertarif, d. h. er gilt

  • über alle Vermögensarten,
  • für Fälle der beschränkten und der unbeschränkten Steuerpflicht und
  • für Schenkungen, genauso wie für Erwerbe von Todes wegen.

§ 19 ErbStG stellt somit eine "Klammernorm" dar. Die Belastungswirkung der Erbschaft- und Schenkungsteuer erschließt sich erst aus dem Zusammenwirken des Steuertarifs mit den ausdifferenzierten Vorschriften über die Bestimmung des steuerpflichtigen Erwerbs einschließlich der Regelungen über Steuerbefreiungen.[1]

 

Rz. 2

Es handelt sich um einen Stufentarif. Der Steuersatz ist einer Tabelle zu entnehmen, deren Stufen am Wert des steuerpflichtigen Erwerbs[2] und deren Spalten nach den in § 15 ErbStG definierten Steuerklassen ausgerichtet sind. Der danach ermittelte Steuersatz ist auf den konkreten steuerpflichtigen Erwerb anzuwenden.

Der Vorteil des Stufentarifs, nämlich die einfache Ablesbarkeit, korrespondiert unmittelbar mit dem Nachteil der Stufenungerechtigkeit: Bei geringfügigem Übersteigen des steuerpflichtigen Erwerbs über eine Wertgrenzenstufe kann es zu einer Erhöhung der Steuerbelastung kommen, die erheblich höher ist, als der die Wertstufe übersteigende Betrag. Die Prozenttarife des § 19 ErbStG sind dennoch auf den gesamten Erwerb anzusetzen. Eine Aufspaltung des steuerpflichtigen Erwerbs in Teilbeträge mit unterschiedlichen Steuertarifen findet nicht statt. Hierfür sieht der Gesetzgeber zur Abmilderung in § 19 Abs. 3 ErbStG einen Härteausgleich (Rz. 13 ff.) vor.

Der Härteausgleich kompensiert Nachteile durch die damit verbundenen Progressionssprünge abschließend.[3]

 

Rz. 3

Zu Bedarf und Möglichkeit, den Tarif anders zu gestalten, z. B. durch Anwendung eines Formeltarifs oder einer progressiven Besteuerung vgl. Weinmann, in Moench/Weinmann, ErbStG, § 19 Rz. 5 und 6. Allerdings haben diese Überlegungen in der letzten Reformdiskussion keine Rolle gespielt. Zunächst war i. R. d. letzten Reform angedacht worden, die mit dem Ansatz des gemeinen Werts über alle Vermögensarten erfolgende Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zu einer allgemeinen Verringerung der Steuersätze zu nutzen. Diese Überlegungen wurden jedoch – zugunsten einer weitgehenden Verschonung des Betriebsvermögens und anderen spezifischen Vergünstigungen – wieder aufgegeben. Tatsächlich neu eingeführt ist jedoch, dass die Doppelbelastung mit Ertragsteuer und Erbschaftsteuer – allerdings nur in Erbfällen – auf Antrag über eine Minderung der Einkommensteuer nach § 35b EStG gemildert werden kann.

 

Rz. 4

Wesentliches Ziel der Differenzierung in § 19 Abs. 1 ErbStG ist es, den erbschaftsteuerlichen Zugriff bei Ehegatten und Kindern so zu mäßigen, dass jedem dieser Erwerber der jeweils auf ihn überkommene Nachlass – je nach dessen Größe – zumindest zum deutlich überwiegenden Teil oder, bei kleineren Vermögen, völlig steuerfrei zugutekommt. Das BVerfG hat schon mehrfach ausgeführt[4], dass der Gesetzgeber, die familiären Bezüge der nächsten Familienangehörigen zum Nachlass erbschaftsteuerrechtlich berücksichtigen muss. Neben den sachlichen und persönlichen Befreiungen wird dabei dem im Einzelfall anzuwendenden Steuertarif entscheidende Bedeutung beigemessen. Dieser Gedanke ist nach der Rspr. des BVerfG[5] in gleicher Weise auf den eingetragenen Lebenspartner zu übertragen. Dem hat der Gesetzgeber mit dem JStG 2010[6] auch für den Tarif des § 19 Abs. 1 ErbStG Rechnung getragen, indem die eingetragenen Lebenspartner in Nr. 1 der Steuerklasse I in § 15 Abs. 1 ErbStG aufgenommen wurden, mithin vom günstigsten Steuertarif profitieren. Mit dem JStG 2010 ist insoweit sogar eine vollständige Rückwirkung auf Erwerbe, für die die Steuer nach dem 31.7.2001 entstanden ist, umgesetzt worden. In § 37 Abs. 5 ErbStG wurde angeordnet, die ohnehin ab dem 8.12.2010 vorgesehene vollständige Gleichstellung für alle noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheide mit Steuerentstehung ab dem 1.8.2001 zu gewähren. Damit sind Lebenspartner ab dem 1.8.2001 den Ehegatten hinsichtlich der Steuerklassenzuordnung und damit auch hinsichtlich des Steuertarifs gleichgestellt, soweit nicht Bestandskraft nach altem Recht eingetreten ist (§ 37 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG).

 

Rz. 5

Das ansteigende Wertstufensystem zur Bestimmung des Steuersatzes dient einem weiteren Prinzip des ErbStG, nämlich dem Leistungsfähigkeitsprinzip.[7] Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit wird allerdings nicht auf die umfassende Leistungsfähigkeit des Begünstigten, sondern nur auf die Bereicherung aus dem konkreten Erwerb abgestellt. Dies wird in der Besteuerungspraxis häufig nicht als gerecht empfunden.

 

Rz. 6

In § 19 Abs. 2 ErbStG wird für Freistellungsfälle nach Doppelbesteuerungsabkommen ein Progressionsvorbehalt angeordnet. In § 19a ErbStG wird ergänzend eine Steuersatzermäßigung für Betriebsvermögen als Verschonungstatbestand gewährt.

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