Rz. 10

In § 19 Abs. 2 ErbStG wird ein Progressionsvorbehalt angeordnet. Damit muss für die Steuersatzermittlung neben dem steuerpflichtigen Erwerb auch ein steuerfreier Erwerb einbezogen werden. Eine Steuerfreistellung bewirkt somit nicht gleichzeitig eine Tarifverbesserung für den nicht begünstigten Erwerb.

Der BFH hat in einer Entscheidung zur Einkommensteuer vom 4.8.1976 den Progressionsvorbehalt mit dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung als vereinbar beurteilt.[1]

Die Regelung des § 19 Abs. 2 ErbStG greift nur in Fällen unbeschränkter Steuerpflicht. Dabei ist es unerheblich, ob diese unbeschränkte Steuerpflicht aus der Inländereigenschaft des Erblassers/Schenkers oder des Erwerbers herrührt. Sie greift auch in den Fällen der unbeschränkten Steuerpflicht durch Option gem. § 2 Abs. 3 ErbStG. Dies wurde mit dem BeitrRLUmsG vom 7.12.2011[2] durch Aufnahme eines Bezugs auf "§ 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3" klargestellt. Die Norm § 2 Abs. 3 ErbStG wurde mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz – StUmgBG) mit Wirkung zum 25.6.2017 wieder abgeschafft. Vgl. hierzu die Ausführungen zu § 16 ErbStG Rz. 8a ff. Danach dürften überhaupt nur wenige Optionsaltfälle vorhanden sein und weitere Optionsfälle können auch für Altjahre weder empfohlen noch erwartet werden. Die Norm § 19 Abs. 2 ErbStG beschränkt sich danach wieder auf die klassischen Fälle der unbeschränkten Steuerpflicht.

Ferner muss ein Teil des Vermögens der inländischen Besteuerung aufgrund eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung entzogen sein. Mit dieser Formulierung wird klargestellt, dass der Progressionsvorbehalt nur für Fälle greift, in denen ein DBA die Freistellungsmethode vorsieht. Bei DBA, die das Anrechnungsverfahren vorsehen, ist der Progressionsvorbehalt ohne Bedeutung. Seit 1978 ist in DBA allerdings nur noch die Anrechnungsmethode zur Anwendung gekommen.

Es muss der Progressionsvorbehalt i. S. d. § 19 Abs. 2 ErbStG im DBA selbst vorgesehen sein.[3] Das ist gegenwärtig nur noch in Art. 10 Abs. 1 DBA Schweiz der Fall.[4]

In den Schweizer DBA-Fällen sind nur Erbfälle betroffen, und zwar bei einem Erwerb eines in Deutschland lebenden Schweizers hinsichtlich in der Schweiz befindlichen Vermögens. Nur für diese Fälle ist die Freistellungsmethode mit Progressionsvorbehalt vorgesehen. Damit ist die Bedeutung des § 19 Abs. 2 ErbStG gering geworden.

 

Rz. 11

Für die Steuersatzermittlung i. R. d. Progressionsvorbehalts muss nach Sinn und Zweck der Norm und den allgemeinen Ausführungen in H E 19 ErbStH 2019 "Härteausgleich" auch der Härteausgleich nach § 19 Abs. 3 ErbStG berücksichtigt werden.

 
Praxis-Beispiel

Erhält ein in Deutschland lebender Schweizer (Erwerber der Steuerklasse II) neben inländischem Vermögen (steuerpflichtiger Erwerb 6 Mio. EUR) einen nach DBA Schweiz freizustellenden Erwerb von 100.000 EUR, muss die Steuersatzermittlung aufgrund des Progressionsvorbehalts aus einem Betrag von 6,1 Mio. EUR und unter Einbeziehung des Härteausgleichs nach § 19 Abs. 3 ErbStG erfolgen (zur konkreten Ermittlung vgl. Rz. 13 ff.).

Der danach ermittelte Steuersatz (vorliegend 30,74 %) muss dann auf den steuerpflichtigen Erwerb von 6 Mio. EUR angewendet werden.

 

Rz. 12

Auch § 14 ErbStG ist zu beachten, indem steuerpflichtige und nach DBA freigestellte Vorerwerbe in den letzten 10 Jahren bei der Steuersatzermittlung berücksichtigt werden müssen.

[2] BGBl I 2011, 2614.
[3] BFH v. 9.11.1966, I R 29/65, BStBl III 1967, 88.
[4] H E 19 ErbStH 2019 "Doppelbesteuerungsabkommen mit Progressionsvorbehalt".

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