1 Allgemeines

1.1 Wirkung der Steuerklassenzuordnung

 

Rz. 1

Das Familien- und Verwandtschaftsprinzip ist im ErbStG ein entscheidendes Kriterium bei der Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen.

§ 15 ErbStG ist dabei die zentrale "Schlüsselnorm" zur Umsetzung dieses Prinzips mittels Zuordnung von Steuerklassen. Andere Vorschriften des ErbStG greifen nämlich die in § 15 ErbStG anhand "verwandtschaftlicher Beziehungen" vorgenommenen Zuordnungen als Tatbestandsmerkmal für die dortigen Belastungsentscheidungen auf.

In den nachfolgenden Normen wird die Qualifikation des § 15 ErbStG herangezogen bzw. darauf Bezug genommen:

  • Vor- und Nacherbschaft[1]: Der Besteuerung des Nacherben ist auf Antrag das Verhältnis (damit insb. auch die Steuerklassenzuordnung) des Nacherben zum Erblasser statt zum Vorerben zugrunde zu legen.
  • (Sachliche) Steuerbefreiungen[2]: Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist die Steuerklasse Anknüpfungspunkt für die Höhe der Freistellung von Hausrat und anderen beweglichen Gegenständen.
  • Persönliche Freibeträge[3]: Die Steuerklasse dient der Bestimmung der Freibetragshöhe.
  • Besonderer Versorgungsfreibetrag (§ 17 Abs. 2 ErbStG): Die Konkretisierung der begünstigten Kinder erfolgt mithilfe der Steuerklassenzuordnung.
  • Steuersätze[4]: Die Steuerklasse ist ein wesentliches Kriterium zur Bestimmung des Steuersatzes.
  • Tarifbegrenzung beim Erwerb von Betriebsvermögen, etc.[5]: Personen der Steuerklassen II und III wird beim Erwerb von begünstigtem Betriebsvermögen eine Tarifbegrenzung nach Steuerklasse I gewährt.
  • Mehrfacher Erwerb desselben Vermögens (§ 27 ErbStG): Personen der Steuerklasse I wird bei Erwerben von Todes wegen für Vermögen, das in den letzten 10 Jahren vor dem Erwerb bereits von Personen dieser Steuerklasse erworben worden ist und für das nach dem ErbStG eine Steuer zu erheben war, eine Ermäßigung der Steuer gewährt.
  • Sondervorschriften aus Anlass der Herstellung der Einheit Deutschlands[6]: Hier ist eine Gleichstellung der Erbschaftsteuer der Deutschen Demokratischen Republik für die Anwendung des § 27 ErbStG angeordnet.

1.2 Stichtagsprinzip

 

Rz. 2

Für die Berechnung der Steuer und damit auch für die Bestimmung der Steuerklasse, ist nicht ausdrücklich festgelegt, auf welchen Zeitpunkt abzustellen ist. § 11 ErbStG greift dem Wortlaut nach nur für die Wertermittlung.

Für die Berechnung der Steuer kann jedoch nichts anderes gelten; wie für die Wertermittlung ist auf den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer abzustellen. Dieser Zeitpunkt bestimmt sich nach § 9 ErbStG. Auch für die Zuordnung zu einer Steuerklasse geht es damit um eine Momentaufnahme. Das verwandtschaftliche Verhältnis muss bei Steuerentstehung, also grundsätzlich im Zeitpunkt des Todes des Erblassers bzw. bei Schenkungen im Zeitpunkt der Ausführung bestanden haben.

Dieses Stichtagsprinzip ist hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse für die Zusammenfassung mehrerer Erwerbe in § 14 Abs. 1 S. 2 ErbStG ausdrücklich angeordnet und von der Rspr. auch für andere Konstellationen als zutreffend gebilligt worden.[1]

 

Beispiel (nach dieser Entscheidung):

Erblasser E hatte einen Vorerben V und einen Nacherben N bestimmt. Nach dem Erbgang auf den Vorerben V tritt der Nacherbe N sein Nacherbenanwartschaftsrecht unentgeltlich an einen Dritten D ab. Später verstirbt auch Vorerbe V, damit tritt der Nacherbfall ein; Begünstigter ist aufgrund der Abtretung D.

Der Erwerb des Dritten D unterliegt der Erbschaftsteuer mit der Steuerklasse, dem Steuersatz und dem Freibetrag nach dem Verhältnis des D zum Vorerben V[2] bzw. zum Erblasser E[3]; aufgrund des Stichtagsprinzips ist das Verhältnis des Nacherben N zu den Personen V und E ohne Bedeutung.

1.3 Bedeutung des Verhältnisses des Erwerbers zum Erblasser oder Schenker

 

Rz. 3

§ 15 Abs. 1 ErbStG stellt auf das Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser oder Schenker ab.

Auch bei Aufhebung einer Stiftung[1] ist Zuwendender die Stiftung; ausnahmsweise ist aber nach § 15 Abs. 2 ErbStG für Familienstiftungen abweichend vom grundsätzlich maßgebenden Zuwendungsverhältnis für die Bestimmung der Steuerklasse und damit für die Berechnung der Schenkungsteuer nicht das Verhältnis des Erwerbers (des Anfallberechtigten) zum Zuwendenden (zur Stiftung), sondern dasjenige zum Stifter anzuwenden.[2] Weitere Sonderregelungen finden sich in § 6 Abs. 2 ErbStG für den Fall der Vor- und Nacherbschaft, in § 15 Abs. 3 ErbStG für Fälle des Berliner Testaments (Rz. 70–81) und in § 15 Abs. 4 ErbStG für Schenkungen durch Kapitalgesellschaften (Rz. 84–87).

1.4 Die gesetzlichen Leitideen und deren verfassungsrechtlicher Rahmen

 

Rz. 4

Der Gesetzgeber verfolgt mit der Erbschaftsteuer in ihrer derzeitigen Ausgestaltung das Ziel, den durch den Erbfall anfallenden Vermögenszuwachs jeweils gemäß seinem Wert[1] – aber mit unterschiedlichen Steuersätzen und Freibeträgen nach Maßgabe des Verwandtschaftsgrads und der Höhe des Erbes[2] – zu bela...

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