Rz. 72

§ 15 Abs. 3 ErbStG gilt für Fälle, in denen der Ersterbende Vollerbe (Einheitslösung, Rz. 70) wird: Dies führt zu einer Vereinigung seines Vermögens mit dem Nachlass des Erstverstorbenen zu einem einheitlichen Vermögen. Konkret knüpft § 15 Abs. 3 ErbStG zunächst an die Norm § 2269 Abs. 1 BGB hinsichtlich der Art der Verfügung an. §§ 2269 Abs. 1 BGB enthält zwar nur eine Vermutungsregel zugunsten der Einheitslösung; da die Trennlösung anderweitig in § 6 ErbStG geregelt ist, ergibt sich aber, dass konkret an die Einheitslösung angeknüpft werden soll. Die Voll- und Schlusserbfolge als Anwendungsfall des § 15 Abs. 3 ErbStG liegt vor, wenn diese ausdrücklich angeordnet oder wegen nicht zu beseitigender Zweifel anzunehmen ist.

§ 15 Abs. 3 ErbStG sieht bei der Einheitslösung eine begünstigende steuerliche Sonderregelung hinsichtlich der anzuwendenden Steuerklasse vor: Sie soll mittels einer Steuerklassenbegünstigung und einer Freibetragsverbesserung die Härte mildern, die dadurch entsteht, dass der Nachlass des Erstversterbenden häufig innerhalb kurzer Zeit 2 steuerbare Erbvorgänge durchläuft und beim Schlusserben als vereinigte steuerbare Einheit ankommt.

Diese Härte wird aber nicht vollständig beseitigt, da beim Schlusserwerb der vereinigten Vermögen des Erst- und Zweitversterbenden weiterhin nur ein Freibetrag nach § 16 ErbStG zur Anwendung kommt und zur Ermittlung der Steuerstufe des § 19 ErbStG weiterhin der Gesamterwerb der Besteuerung zugrunde gelegt wird. Auch der Härteausgleich nach § 19 Abs. 3 ErbStG ist damit nur zu gewähren, soweit der Wert des gesamten Erwerbs eine der in § 19 Abs. 1 ErbStG bestimmten Wertgrenzen überschreitet und in einen Bereich fällt, in dem der Wertausgleich vorzunehmen ist.[1]

 

Gestaltungshinweis:

Trotz der auf diesem Umstand basierenden Schmähung des Berliner Testaments als Erbschaftsteuerfalle sollte nicht übersehen werden, dass diese Gestaltung für die zivilrechtliche Absicherung des Zweitversterbenden eine nicht leicht ersetzbare Schutzfunktion hat, auf die nicht ohne wohlüberlegte Absicherungsalternativen verzichtet werden sollte.

 

Rz. 72a

Der Anwendungsbereich des § 15 Abs. 3 ErbStG ergibt sich weiterhin aus der Regelung: "Im Fall des § 2269 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und soweit der überlebende Ehegatte oder der überlebende Lebenspartner an die Verfügung gebunden ist ….". Über die Anforderung, nach der der Überlebende an die Verfügung gebunden sein muss, wird an die Normen §§ 2270, 2271 BGB angeknüpft, die dem Erstversterbenden eine gewisse Sicherheit gewähren, dass das Vermögen beim vorgesehenen Schlusserben auch ankommt. § 15 Abs. 3 ErbStG kann aber auch dann noch eingreifen, wenn dem überlebenden Ehegatten noch eine gewisse Dispositionsfreiheit belassen wurde (s. u. Rz. 78), der Schlusserbenerwerb aber dennoch auf der Verfügung des Erstversterbenden beruht.

 

Rz. 73

§§ 2269 ff. lauten:

Zitat

§ 2269 Gegenseitige Einsetzung

(1) Haben die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament, durch das sie sich gegenseitig als Erben einsetzen, bestimmt, dass nach dem Tode des Überlebenden der beiderseitige Nachlass an einen Dritten fallen soll, so ist im Zweifel anzunehmen, dass der Dritte für den gesamten Nachlass als Erbe des zuletzt versterbenden Ehegatten eingesetzt ist.

(2) Haben die Ehegatten in einem solchen Testament ein Vermächtnis angeordnet, das nach dem Tode des Überlebenden erfüllt werden soll, so ist im Zweifel anzunehmen, dass das Vermächtnis dem Bedachten erst mit dem Tode des Überlebenden anfallen soll.

§ 2270 Wechselbezügliche Verfügungen

(1) Haben die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament Verfügungen getroffen, von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde, so hat die Nichtigkeit oder der Widerruf der einen Verfügung die Unwirksamkeit der anderen zur Folge.

(2) Ein solches Verhältnis der Verfügungen zueinander ist im Zweifel anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht.

(3) Auf andere Verfügungen als Erbeinsetzungen, Vermächtnisse oder Auflagen findet die Vorschrift des Absatzes 1 keine Anwendung.

§ 2271 Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen

(1) Der Widerruf einer Verfügung, die mit einer Verfügung des anderen Ehegatten in dem in § 2270 bezeichneten Verhältnis steht, erfolgt bei Lebzeiten der Ehegatten nach der für den Rücktritt von einem Erbvertrag geltenden Vorschrift des § 2296. Durch eine neue Verfügung von Todes wegen kann ein Ehegatte bei Lebzeiten des anderen seine Verfügung nicht einseitig aufheben.

(2) Das Recht zum Widerruf erlischt mit dem Tode des anderen Ehegatten; der Überlebende kann jedoch seine Verfügung aufheben, wenn er das ihm Zugewendete ausschlägt. Auch nach der Annahme der Zuwendung ist der Überlebende zur Aufhebung nach Maßga...

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