Rz. 1

Die Vorschrift steht zu Beginn des Dritten Abschnittes "Berechnung der Steuer" und regelt die Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe, die von derselben Person innerhalb von 10 Jahren anfallen.

 

Rz. 2

Zweck der Vorschrift ist es, Vorteile auszuschließen, die durch die Aufteilung einer beabsichtigten Zuwendung in mehrere zeitlich aufeinanderfolgende Teilübertragungen eintreten könnten. Ohne die gesetzlich angeordnete Zusammenrechnung der Erwerbe im 10-Jahreszeitraum könnte die Steuerbelastung reduziert werden, weil die Freibeträge[1] bei jedem Einzelerwerb abgezogen würden und zudem niedrigere Steuersätze erreichbar wären.[2]

 

Rz. 3

Die gesetzlich angeordnete Zusammenrechnung bewirkt, dass die Freibeträge[3] innerhalb des 10-Jahreszeitraums nur einmal abgezogen werden können und sich beim Steuersatz kein Progressionsvorteil ergibt.

 

Rz. 4

Die Zusammenrechnung erweist sich jedoch nicht in jedem Fall als nachteilig für den Steuerpflichtigen. Insbesondere dann, wenn infolge einer Gesetzesänderung höhere persönliche Freibeträge (so z. B. mit Wirkung ab dem 1.1.1996 und seit 1.1.2009) gewährt werden, können sich nach dem Inkrafttreten der Neuregelung "Steuerüberhänge" ergeben, die eine sog. steuerfreie Nachschenkung[4] erlauben.

 

Rz. 5

Um dieses nach der letzten Erbschaftsteuerreform ab 1.1.1996 häufig genutzte Gestaltungsmittel zu unterbinden, ist in dem seit 1.1.2009 geltenden Erbschaftsteuerrecht der Abzug der Steuer, die auf dem Vorerwerb lastet, begrenzt worden (§ 14 Abs. 1 S. 4 ErbStG). Die Steuer, die sich nach den geltenden Vorschriften für den Letzterwerb (ohne Zusammenrechnung mit dem Vorerwerb) ergibt, bildet die Untergrenze der für diesen Erwerb festzusetzenden Steuer. Damit hat die steuerfreie Nachschenkung seit 1.1.2009 an Bedeutung verloren.

 

Rz. 6

Die differenzierte Regelung zur Entstehung der Steuer bei Erwerben von Todes wegen[5] kann dazu führen, dass es nach dem Tod des Erblassers zu mehreren zeitlich aufeinanderfolgenden Erwerben von Todes wegen kommt. Dies ist z. B. der Fall, wenn ein einzelner Vermögensgegenstand unter einer aufschiebenden Bedingung erworben wird. Mit dem Eintritt der Bedingung kommt es zu einem eigenen Steuerfall.[6] Liegt der Zeitpunkt der Steuerentstehung außerhalb des 10-Jahreszeitraums nach dem Erbfall, ist eine Zusammenfassung mit dem ursprünglichen Erwerb von Todes wegen nicht mehr möglich und die persönlichen Freibeträge (im Verhältnis zum Erblasser) können erneut genutzt werden.[7] Die auch als sog "postmortaler Dekadensprung" oder "postmortaler Freibetrag"[8] bezeichnete Rechtsfolge erlaubt eine legale Steuervermeidung durch entsprechende testamentarische Anordnungen.

 
Praxis-Beispiel

Die verwitwete M hat ihrer einzigen Tochter T im Januar 2011 205.000 EUR geschenkt. M verstirbt im August 2020; sie hat ihren Lebensgefährten L als Alleinerben eingesetzt. Der Pflichtteilsanspruch der T beträgt unstrittig 700.000 EUR.

Lösung:

Macht T den Pflichtteil in 2020 geltend, versteuert sie wie folgt:

 
Vorschenkung 205.000 EUR
Pflichtteil 700.000 EUR
Erwerb 905.000 EUR
Freibetrag § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG - 400.000 EUR
steuerpflichtiger Erwerb 505.000 EUR
Steuersatz in StKl. I: 15 %  
festgesetzte Steuer 2020: 75.750 EUR

Hinweis: Die tatsächliche und fiktive Steuer auf den Vorerwerb gem. § 14 Abs. 1 S. 2 und 3 ErbStG ist je 0 EUR.

Abwandlung:

Macht T hingegen den Pflichtteil erst im Februar 2021 geltend, versteuert sie wie folgt:

 
Vorschenkung (Januar 2011) 0 EUR
Pflichtteil 700.000 EUR
Erwerb 700.000 EUR
Freibetrag § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG - 400.000 EUR
steuerpflichtiger Erwerb 300.000 EUR
Steuersatz in StKl. I: 11 %  
festgesetzte Steuer 2021: 33.000 EUR

Hinweis: Die Ersparnis von 42.750 EUR ergibt sich dadurch, dass eine Zusammenrechnung nach § 14 ErbStG vermieden wird, da "nur" und erst der geltend gemachte Pflichtteil die Steuerpflicht auslöst. Der Pflichtteilsberechtigte kann u. U. die Steuerlast durch bloßes Zuwarten hinsichtlich der Geltendmachung seines Anspruchs senken.[9]

 

Rz. 7

Verfahrenstechnisch wird die Zusammenrechnung dadurch vollzogen, dass alle Erwerbe, die einer Person innerhalb des festgelegten Zeitraums von 10 Jahren anfallen, zusammengerechnet werden und vom "Gesamterwerb" eine "einzige" Steuer berechnet wird. Zwar bezeichnet das Gesetz in § 14 Abs. 1 S. 2 ErbStG als "Gesamtbetrag" die Summe aus Vorerwerb und Nacherwerb; nachfolgend wird stattdessen der Begriff des "Gesamterwerbs" hierfür verwandt, da er treffender die Zusammenrechnungskonstellation (nämlich das Ergebnis einer Addition mehrerer Erwerbe) wiedergibt. Die einzelnen Erwerbe behalten ungeachtet dieser gesetzlich angeordneten Zusammenrechnung ihren Charakter als selbstständige steuerpflichtige Vorgänge.[10]

 

Rz. 8

Folge der Selbstständigkeit jedes einzelnen steuerpflichtigen Erwerbs ist weiter, dass in einem Erbschaftsteuerbescheid, der für einen Letzterwerb von Todes wegen ergeht, oder einem Schenkungsteuerbescheid, der für einen Letzterwerb in Form einer Schenkung ergeht, eine zusammenfassende Steuerfestsetzung ...

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