Rz. 339

§ 201 Abs. 3 S. 1 BewG schreibt die Verkürzung des 3-Jahreszeitraums für den Fall vor, dass sich der Charakter des Unternehmens nach dem Gesamtbild der Verhältnisse nachhaltig verändert hat oder das Unternehmen neu entstanden ist. In diesen Fällen ist von einem entsprechend verkürzten Ermittlungszeitraum auszugehen. Maßgebend ist der Beginn der nachhaltigen Veränderungen bzw. der Unternehmensgründung. Nähere Hinweise dazu, wann sich der Charakter eines bestehenden Unternehmens "nachhaltig" verändert hat, geben weder der Gesetzeswortlaut noch der Bericht des Finanzausschusses. Obwohl sich der Begriff "nachhaltig" seiner buchstäblichen Bedeutung nach nur auf die zu erwartende Dauerhaftigkeit der Veränderung bezieht, dürfte es bei Anwendung des § 201 Abs. 3 S. 1 BewG auch auf die qualitative Bedeutung der Veränderung ankommen.

Als Beispiele für eine relevante Veränderung kommen Veränderungen des Unternehmensgegenstandes durch Aufnahme oder Abgabe eines Geschäftsfelds[1], aber auch grundlegende Veränderungen der Finanzierungs- oder auch der Führungsstruktur (z. B. Ersetzung des Betriebsinhabers bzw. Gesellschafters durch einen Fremdgeschäftsführer oder umgekehrt) in Betracht. Stets muss es sich aber um Veränderungen handeln, die den "Charakter" des Unternehmens betreffen. Grundlegende Veränderungen der allgemeinen Marktverhältnisse oder anderer außerhalb des Unternehmens liegender Umstände fallen – unabhängig von ihrer Bedeutung für die künftigen Ertragsaussichten – nicht unter die Regelung des § 201 Abs. 3 S. 1 BewG.

 

Rz. 340

Falls die nachhaltige Veränderung des Unternehmenscharakters im Laufe eines Wirtschaftsjahrs eingetreten ist, muss u. E. für die Ermittlung des Betriebsergebnisses gedanklich ein Rumpfwirtschaftsjahr gebildet werden. Für die Zeit danach können nur noch die Betriebsergebnisse voller Wirtschaftsjahre berücksichtigt werden. Dabei kann das 2. auf den Eintritt der Veränderung folgende Wirtschaftsjahr unter den Voraussetzungen des § 201 Abs. 2 S. 1 BewG voll in die Ermittlung des Durchschnittsertrags einbezogen werden. Demgegenüber will die FinVerw offenbar nur die auf das Jahr der Veränderung folgenden vollen Wirtschaftsjahre berücksichtigen. Nach R B 201 Abs. 2 S. 3 ErbStR 2019 soll die Summe der Betriebsergebnisse in den Fällen des § 201 Abs. 3 S. 1 BewG durch 2 dividiert werden, weil der verkürzte Ermittlungszeitraum stets 2 volle Wirtschaftsjahre umfasse. Diese Auffassung lässt sich aus dem Wortlaut des § 201 Abs. 3 S. 1 BewG nicht ableiten und führt zu einer unnötigen Verkürzung des für die Ermittlung des Durchschnittsertrags zur Verfügung stehenden Referenzzeitraums.

Keine Regelung trifft das Gesetz dazu, bis auf welchen Mindestzeitraum der Ermittlungszeitraum abgekürzt werden kann. Je kürzer der verbleibende Referenzzeitraum ist, desto dringlicher wird sich allerdings die Frage stellen, ob die in dieser Zeit erwirtschafteten Betriebsergebnisse noch eine aussagekräftige Grundlage für die Schätzung des voraussichtlich zukünftig nachhaltig erzielbaren Jahresertrags bilden oder zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führen. Die Verwaltung geht davon aus, dass der Referenzzeitraum mindestens 2 volle Wirtschaftsjahre umfassen muss.[2]

Obwohl das Gesetz dies nicht ausdrücklich anordnet, muss bei einer Verkürzung des Ermittlungszeitraums auch der Divisor entsprechend angepasst werden.

 
Praxis-Beispiel

V ist Inhaber eines Einzelhandelsunternehmens. Neben dem Hauptgeschäft betreibt er eine Filiale, in der aufgrund eines starken örtlichen Wettbewerbsdrucks wachsende Verluste entstehen. Zum 1.10. des Jahres 01 schließt V die Filiale. Für die ersten 3 Quartale des Jahres 01 hatte sich ein Betriebsergebnis von 150.000 EUR ergeben. Das Betriebsergebnis für das letzte Quartal des Jahres 01 beträgt 90.000 EUR, das des Jahres 02 350.000 EUR und das des Jahres 03 280.000 EUR. Zum 1.2. des Jahres 04 überträgt er sein Unternehmen unentgeltlich auf seinen Sohn. Der maßgebliche Jahresertrag ist in der Weise zu ermitteln, dass die Ergebnisse des letzten Vierteljahres 01 und der Jahre 02 und 03 addiert und durch 2,25 geteilt werden. Damit ergibt sich ein Jahresertrag von 320.000 EUR.

[1] Piltz, DStR 2008, 745, 750.
[2] R B 201 Abs. 2 S. 3 ErbStR 2019.

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