Rz. 325

Aus dem in § 199 Abs. 1 und 2 BewG verwendeten Begriff "kann" wird nahezu einhellig der Schluss gezogen, dass die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens bei Erfüllung seiner tatbestandsmäßigen Voraussetzungen nicht zwingend ist, sondern die Bewertung auch in einem anderen – betriebswirtschaftlichen Grundsätzen entsprechenden – Ertragswertverfahren erfolgen kann.[1]

Demgegenüber vertritt Viskorf[2] die Ansicht, dass es sich bei dem vereinfachten Ertragswertverfahren um ein Regelbewertungsverfahren handle. Eine Gesetzesinterpretation, wonach die Bestimmung der Wertermittlungsmethode, die unmittelbar auf die Höhe der Steuerbemessungsgrundlage und damit auch die Steuerbelastung durchschlage, den Beteiligten obliege, sei mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar. Der in § 11 Abs. 2 S. 4 BewG getroffenen Anordnung, dass die §§ 199203 BewG zu "berücksichtigen" seien, sei daher die verbindliche Anordnung (an das FA) zu entnehmen, das vereinfachte Ertragswertverfahren anzuwenden, soweit kein anderes Verfahren verbindlich vorgeschrieben sei und es nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führe.[3]

Die Auffassung Viskorfs ist mit dem Gesetzeswortlaut nicht zu vereinbaren. § 199 BewG ordnet lediglich an, dass das vereinfachte Ertragsverfahren unter den dort näher bestimmten Voraussetzungen angewendet werden "kann", nicht hingegen, dass es anzuwenden "ist". Die in § 11 Abs. 2 S. 4 BewG vorgeschriebene "Berücksichtigung" der §§ 199203 BewG kann diesen Vorschriften keinen über ihren eigenen Wortlaut hinausgehenden Geltungsanspruch verschaffen. Der von Viskorf verfochtene Regelcharakter des vereinfachten Ertragswertverfahrens lässt auch den Umstand außer Betracht, dass die darin vorgesehene stark schematisierte Wertermittlung den am Markt realisierbaren Unternehmenswert nicht nur in Ausnahmefällen verfehlen wird.

Noch nicht beantwortet ist damit allerdings die Frage, nach welchen Gesichtspunkten und von wem die Entscheidung über die durch den Begriff "kann" eröffnete Möglichkeit der Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens zu treffen ist. In der Lit. wird ganz überwiegend die Ansicht vertreten, dass dem Stpfl. ein Wahl- oder Optionsrecht zustehe.[4] Dieser könne darüber bestimmen, ob die Bewertung nach dem vereinfachten oder nach einem betriebswirtschaftlichen Ertragswertverfahren erfolge.[5]

Dieser Auffassung hat sich nunmehr auch die FinVerw ausdrücklich angeschlossen.[6] Das FA soll offenbar nur dann berechtigt sein, die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens abzulehnen, wenn es Zweifel an den gesetzlichen Anwendungsvoraussetzungen hat. In diesem Fall hat es diese substanziiert darzulegen und dem Stpfl. Gelegenheit zu geben, diese auszuräumen.[7]

 

Rz. 326

Die Auffassung, dass der Begriff "kann" ein Wahlrecht des Stpfl. begründet, steht im Widerspruch dazu, dass Adressat des § 199 BewG der Rechtsanwender – in erster Linie also die zur Wertfeststellung berufene Finanzbehörde – ist. Hätte der Gesetzgeber ein Wahlrecht des Stpfl. begründen wollen, hätte er dies durch eine entsprechende Wortwahl ("… ist auf Antrag …") zum Ausdruck bringen können und müssen.

Die Entscheidung über die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens kann danach nur der Finanzbehörde obliegen. Entgegen dem durch die Verwendung des Begriffs "kann" nahegelegten Schluss handelt es sich dabei aber nicht um eine Ermessensentscheidung, sondern um eine gesetzlich gebundene Entscheidung.

Die Einräumung von Ermessen im Bereich der Steuerfestsetzung bzw. der ihr vorangehenden Feststellung der Besteuerungsgrundlagen stünde in Widerspruch zu dem gesetzlichen Auftrag der Finanzbehörde, die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben.[8] Außerdem pflegen Ermessensnormen die Finanzbehörde ausdrücklich als Träger der Entscheidungskompetenz zu bezeichnen, während die unpersönliche Passivkonstruktion, als deren Bestandteil das Wort "kann" in § 199 BewG verwendet wird, die Person des Entscheidungsträgers gerade offen lässt. Schließlich spricht gegen die Annahme einer Ermessensregelung die sich daraus ergebende eingeschränkte gerichtliche Nachprüfbarkeit der von der Finanzbehörde getroffenen Entscheidung. Das Gericht könnte die Ausübung des Ermessens nur in den Grenzen des § 102 FGO überprüfen und hätte dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zugrunde zu legen. Erst während des gerichtlichen Verfahrens eintretende Veränderungen der für die Ermessensausübung bedeutsamen Umstände könnte es daher nicht mehr berücksichtigen.

 

Rz. 327

Vor dem Hintergrund des mit dem vereinfachten Ertragswertverfahrens verfolgten Zwecks, den Unternehmens- bzw. Anteilswert ohne hohen Aufwand oder Kosten für einen Gutachter zu ermitteln, ist die Verwendung des Begriffs "kann" u. E. als Konkretisierung und Eingrenzung der Amtsermittlungspflicht nach § 88 Abs. 1 AO i. d. S. aufzufassen, dass das Ergebnis des vereinfachten Ertragswertverfahrens zugrunde zu legen ist, wenn keine ...

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