Rz. 114

Zweifelhaft sind Forderungen, deren vollständige Befriedigung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen ungewiss erscheint, ohne dass der vollständige Ausfall bereits feststeht. Solche Forderungen sind je nach dem Grad der Zweifelhaftigkeit mit einem niedrigeren Schätzwert anzusetzen.[1]

 

Rz. 115

Aus tatsächlichen Gründen zweifelhaft sind Forderungen insbesondere dann, wenn die Vermögensverhältnisse des Schuldners Anlass zu Zweifeln an der Durchsetzbarkeit der Ansprüche geben. Ob eine Forderung wegen der Vermögensverhältnisse des Schuldners zweifelhaft ist, ist unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.[2] Nach dem Bewertungsstichtag eintretende, nicht zu erwartende Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse bleiben unberücksichtigt.[3]

Zweifelhaft ist eine Forderung insbesondere dann, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverwahrens über das Vermögen gestellt oder die Eröffnung bereits erfolgt ist.[4] Zweifel an der Durchsetzbarkeit der Forderung können sich aber schon daraus ergeben, dass der Schuldner seinen fälligen Verpflichtungen nicht pünktlich nachkommt und/oder Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung nicht zu einer sofortigen oder vollständigen Befriedigung geführt haben. Demgegenüber soll der Umstand, dass Schuldnerin einer Darlehensforderung eine GmbH & Co. KG mit negativem Eigenkapital und ohne stille Reserven ist, für sich allein keine Bewertung unter dem Nennwert rechtfertigen, wenn die Schuldnerin die fälligen Zinszahlungen leistet und die Fortführung des Betriebs unter Beibehaltung des Kredits außer Frage steht.[5]

Soweit der Gläubiger die Möglichkeit hat, sich durch Verwertung von Sicherheiten, Inanspruchnahme von Bürgen oder auf dem Wege der Aufrechnung zu befriedigen, ist die Bewertung der Forderung unter dem Nennwert nicht gerechtfertigt.[6] Aus demselben Grund ist die Forderung gegen eine OHG oder gegen eine KG nicht wertgemindert, solange zahlungskräftige Gesellschafter vorhanden sind, die für die Schulden der Gesellschaft unbeschränkt haften.[7]

 

Rz. 116

Aus rechtlichen Gründen zweifelhaft kann eine Forderung dann sein, wenn sie am Bewertungsstichtag verjährt, aber zweifelhaft ist, ob sich der Schuldner auf die Einrede der Verjährung berufen wird.[8] Schwierigkeiten in der Beurteilung der Rechtslage sind für sich allein kein besonderer Umstand, der einen Abschlag rechtfertigt.[9]

Zweifelhaft kann eine Forderung aber dann sein, wenn ihr rechtlicher Bestand nach Grund oder Höhe vom Schuldner bestritten wird oder über sie bereits ein Rechtsstreit anhängig ist. Ist die Zivilrechtslage ungewiss und wird sie auch nicht durch ein rechtskräftiges Urteil geklärt, ist der am Stichtag vorhandenen rechtlichen Unsicherheit durch Ansatz eines niedrigeren Wertes Rechnung zu tragen. Der Wert ist dann nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit anzusetzen, mit der sich die Forderung aus der Sicht vom Stichtag durchsetzen lassen wird; dabei ist das Prozessrisiko ein maßgeblicher Anhaltspunkt.[10] Sind die am Stichtag vorhandenen Zweifel an Bestand und Höhe der Forderung hingegen durch ein bei Durchführung der Veranlagung bereits ergangenes Urteil ausgeräumt worden, ist dieses der Bewertung zugrunde zu legen. Darin liegt kein Verstoß gegen das Stichtagsprinzip, weil gerichtliche Urteile das Ergebnis einer Prüfung von Verhältnissen sind, die bereits am Stichtag vorgelegen haben.[11] Liegt bei Durchführung der Veranlagung noch kein rechtskräftiges Urteil vor, kann diese nach § 165 AO vorläufig erfolgen. Eine Bewertung unter Außerachtlassung des Ausgangs des gerichtlichen Verfahrens kommt nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht. Ein solcher Ausnahmefall kann insbesondere bei umstrittenen Schadensersatzforderungen vorliegen, wenn nach der Besonderheit der tatsächlichen Vorgänge, auf die sich die Forderung gründet, und nach der am Bewertungsstichtag bestehenden Prozesslage ein erhebliches Pro­zessrisiko besteht. Liegt ein solcher Ausnahmefall vor, dann kann die Schadensersatzforderung nur mit einem Wert angesetzt werden, der nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit ihrer Durchsetzbarkeit nach den Verhältnissen vom Bewertungsstichtag zu schätzen ist.[12]

[1] R B 12.1 Abs. 3 S. 1 ErbStR 2019.
[4] Haas, in Stenger/Loose, BewG, § 12 Rz. 69.
[8] R B 12.1 Abs. 3 S. 2 ErbStR 2019.
[9] BFH v. 1.9.1961, 15/60 U, BStBl III 1961, 493; R B 12.3 Abs. 3 S. 3 ErbStR 2019.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge