Revision eingelegt (BFH X R 40/12)

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Erlass bestandskräftig festgesetzter Steuern aus sachlichen Billigkeitsgründen nach Änderung der Rechtsprechung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Umstand allein, dass eine bestandskräftig festgesetzte Steuer im Widerspruch zu einer später entwickelten oder geänderten Rechtsprechung steht, rechtfertigt keinen Steuererlass nach § 227 AO.

Dies gilt auch für Steuern, die aufgrund der Nichtanerkennung von Schulgeldzahlungen im EU-Ausland bestandskräftig festgesetzt wurden.

 

Normenkette

AO § 227; EStG § 10 Abs. 1 Nr. 9; AEUV Art. 49, 267

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 21.01.2015; Aktenzeichen X R 40/12)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Voraussetzungen für einen Erlass von Steuern gegeben sind.

Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. In ihren Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1992 bis 1999 machten sie jeweils Schulgeldzahlungen für ihren Sohn zum Besuch einer Privatschule in Großbritannien als Sonderausgaben geltend. Der Beklagte ließ die Aufwendungen im Rahmen der Einkommensteuerveranlagungen nicht zum Sonderausgabenabzug zu. Die nach erfolglosem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1992 erhobene Klage wies das Finanzgericht Rheinland-Pfalz durch Urteil vom 17. März 1995 (3 K 1046/94) mit der Begründung ab, Schulgeldzahlungen an Schulen im Ausland seien nicht nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 Einkommensteuergesetz -EStG- abziehbar. Die hiergegen gerichtete Revision wies der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 11. Juni 1997 (X R 74/95, BStBl II 1997, 617) zurück.

Nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs wies das Finanzgericht Rheinland-Pfalz durch Urteile vom 24. Juni 1998 (5 K 2755/97) und 5. Juli 2000 (1 K 2074/99) die von den Klägern hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 1993 bis 1997 erhobenen Klagen ebenfalls ab. Die gegen die Entscheidung des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 5. Juli 2000 erhobene Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision verwarf der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 11. März 2002 (XI B 125/00) als unzulässig. Die gleichfalls eingelegten Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1998 und 1999 nahmen die Kläger im Jahr 2004 zurück.

Im Oktober 2007 beantragten die Kläger, die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1992 bis 1999 dahingehend zu ändern, dass die geleisteten Schulgeldzahlungen gem. § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG als Sonderausgaben berücksichtigt werden. Nachdem der Beklagte den Antrag abgelehnt hatte und auch das anschließende Einspruchsverfahren ohne Erfolg geblieben war, erhoben die Kläger erneut Klage, die das Finanzgericht Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 20. Januar 2010 (1 K 1285/08) abwies. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision wies der Bundesfinanzhof durch Beschluss vom 9. Juni 2010 (X B 41/10) als unbegründet zurück.

Im Juli 2010 beantragten die Kläger den Erlass der Einkommensteuerbeträge, soweit diese mangels Anerkennung von Schulgeldzahlungen als Sonderausgaben in den Jahren 1992 bis 1999 festgesetzt worden waren. Mit Bescheid vom 23. Juli 2010 lehnte der Beklagte den Antrag ab.

Die Kläger legten hiergegen Einspruch ein und trugen zur Begründung vor, dass es zwar grundsätzlich mit dem Sinn und Zweck der Bestandskraft von Steuerbescheiden nicht zu vereinbaren sei, eine bestandskräftig festgesetzte Steuer nur deshalb zu erlassen, weil die Festsetzung im Widerspruch zu einer später entwickelten oder geänderten Rechtsprechung stehe. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Abänderung bestandskräftiger Entscheidungen rechtfertige hier jedoch eine Ausnahme. Die Dienstleistungsfreiheit in Art. 49 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft -EG- sei für die Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht. Werde durch die Entscheidung eines Mitgliedstaats dieses Recht verletzt, sei der betroffene Bürger darauf angewiesen, dass die Sache dem Europäischen Gerichtshof durch die nationalen Gerichte vorgelegt werde. Wenn dies unterbleibe, obwohl eine Vorlagepflicht bestehe, habe die Bestandskraft dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben zu weichen. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts verlange in diesem Fall eine Korrektur des nationalen Rechts. Dabei gehe es nicht um eine Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Der für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zuständige Europäische Gerichtshof habe der Sache nach die ursprünglichen Entscheidungen des Bundesfinanzhofs abgeändert. Der Bundesfinanzhof habe zwar mit Urteil vom 17. Juli 2008 (X R 62/04) seine ursprüngliche Rechtsprechung zu Art. 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG, die in ihrem Streitfall ergangen sei, abgeändert, indem er die gemeinschaftskonforme Auslegung des Europäischen Gerichtshofs übernommen habe. Dennoch liege im Streitfall insoweit keine Änderung der Rechtsprechung vor. Denn die für die Auslegung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG maßgebliche Grundsatzentscheidung vom 11. Juni 1997 (a.a.O.) habe den streitgegenständlichen Steuerbescheid für 1992 betroffen. Nur dies...

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