Entscheidungsstichwort (Thema)

Zusammenveranlagung und Aufteilung der ESt-Schuld im Jahr der Verfahrenseröffnung, Änderung nach § 174 Abs. 3 AO

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Das Veranlagungswahlrecht nach § 26 Abs. 2 Satz 2 EStG ist ein Verwaltungsrecht mit vermögensrechtlichem Bezug und kann damit vom Insolvenzverwalter ausgeübt werden. Eine hieraus resultierende ESt-Schuld ist Masseschuld i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

2) Die in AEAO zu § 251, Tz. 9.1.2 Beispiel 3 vorgesehene Aufteilung der ESt-Schuld im Jahr der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Ehegatten in die insolvenzrechtlichen Kategorien ist sachgerecht.

3) Die aus Einkünften aus selbständiger Tätigkeit resultierende Teil-ESt ist eine Masseverbindlichkeit, wenn der Insolvenzverwalter die Tätigkeit erlaubt, die Betriebseinnahmen zur Masse zieht und die Fortführung der Tätigkeit ermöglicht.

4) Zur Zuordnung der Teil-ESt aus Einkünften aus Vermietung, Kapitalvermögen und Rentenzahlungen.

5) Der Altersentlastungsbetrag nach § 24a EStG ist bei der einkünftebezogenen Aufteilung der ESt-Schuld verhältniswahrend bei den Nicht-Renteneinkünften anzusetzen.

6) Werden Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners bei der massebezogenen ESt-Festsetzung gegenüber dem Insolvenzverwalter erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt, dass sie bei der Steuerfestsetzung gegenüber dem Insolvenzschuldner zu berücksichtigen sind, und stellt sich diese Annahme im Nachhinein als unzutreffend heraus, ist das FA zur Änderung der ESt-Festsetzung gegenüber dem Insolvenzverwalter gemäß § 174 Abs. 3 AO befugt.

 

Normenkette

EStG § 26 Abs. 2 S. 2; AO § 174 Abs. 3; InsO §§ 35, 36 Abs. 1 S. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1; ZPO §§ 850 ff; EStG § 24a

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 27.10.2020; Aktenzeichen VIII R 19/18)

 

Tatbestand

Streitig ist, wie die Einkommensteuerschuld des Insolvenzschuldners Herrn B auf die insolvenzrechtlichen Vermögensbereiche (Insolvenzforderung, Forderung gegen die Insolvenzmasse oder Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen) zu verteilen ist.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des beigeladenen Herrn B (nachfolgend: „der Insolvenzschuldner”). Die Insolvenzeröffnung erfolgte durch Beschluss des Amtsgerichts C vom ….05.2007 (Az. … IN …/06). Das Insolvenzverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Der Insolvenzschuldner ist mit Frau D verheiratet und lebt mit dieser zusammen.

Der Insolvenzschuldner und seine Ehefrau erzielten im Streitjahr 2008 folgende Einkünfte:

  • • Der Insolvenzschuldner erzielte Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit als Gutachter sowie für die …klinik E. Der Gewinn belief sich auf insgesamt 13.378,00 EUR. Die Auftraggeber zahlten die Honorare auf ein vom Kläger eingerichtetes Treuhandkonto. Die Fahrtkosten, die im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit des Klägers anfielen, wurden von der Ehefrau des Insolvenzschuldners ausgelegt. Sie stellte über die Fahrtkosten regelmäßig Rechnungen an den Kläger aus, die dieser aus den von ihm vereinnahmten Honoraren beglich.
  • • Der Insolvenzschuldner erzielte weiterhin Einnahmen in Höhe von 1.584,00 EUR aus der Vermietung einer Immobilie. Diese Einnahmen wurden in Höhe von 835,00 EUR (Miete für Januar 2008) durch den Kläger vereinnahmt. Die übrigen Einnahmen in Höhe von 749,00 EUR flossen nach Anordnung der Zwangsverwaltung über die Immobilie dem Zwangsverwalter zu.
  • • Der Insolvenzschuldner erhielt Rentenzahlungen der Ärzteversorgung Westfalen-Lippe mit Sitz in C in Höhe von 34.237,00 EUR (steuerpflichtiger Ertragsanteil: 17.101,00 EUR), die ebenfalls auf das vom Kläger eingerichtete Treuhandkonto überwiesen wurden.
  • • Der Insolvenzschuldner erzielte Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 967,00 EUR (Einkünfte aus Kapitalvermögen 0 €).
  • • Die Ehefrau des Insolvenzschuldners erwirtschaftete gesondert festgestellte gewerbliche Einkünfte in Höhe von insgesamt 21.400,00 EUR.

Wegen Nichtabgabe der Einkommensteuererklärung 2008 erließ der Beklagte am 06.06.2011 einen Einkommensteuerbescheid auf Schätzungsgrundlage, mit welchem der Insolvenzschuldner und seine Ehefrau gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Dieser Einkommensteuerbescheid wurde zum einen an den Kläger in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter und zum anderen an die Ehefrau des Insolvenzschuldners bekanntgegeben. Die Einkommensteuer wurde auf 7.574,00 EUR festgesetzt.

Nach Einspruchseinlegung reichte der Kläger im Rahmen des Einspruchverfahrens am 08.07.2011 eine Einkommensteuererklärung ein. In der Einkommensteuererklärung, die allein durch den Kläger unterzeichnet war, wurde die Zusammenveranlagung beantragt. Erklärt wurden die obengenannten Einkünfte, die der Höhe nach im vorliegenden Klageverfahren unstreitig sind.

Zur Begründung des Einspruchs führte der Kläger aus, dass eine Zusammenveranlagung mit der Ehefrau des Insolvenzschuldners erfolgen müsse; das Veranlagungswahlrecht sei durch ihn als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Insolvenzschuldners auszuüben. Allerdings dürfe die Einkommensteu...

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