Entscheidungsstichwort (Thema)

Erfüllungsrückstand in Bezug auf Betreuung bereits abgeschlossener Lebensversicherungen; Schätzungsbefugnis des Finanzgerichts

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Ein Versicherungsvertreter, der rechtlich auch zur künftigen Betreuung vermittelter Vertragsverhältnisse verpflichtet ist, hierfür aber - neben der einmaligen Abschlussprovision - keine weitere Vergütung erhält, hat für den zukünftigen Betreuungsaufwand eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückständen zu bilden (Anschluss an BFH-Urteil v. 9.12.2009 - X R 41/07, BFH/NV 2010, 241, gegen BMF v. 28.11.2006, BStBl. I 2006, 765 Nichtanwendungserlass).

2) Im Hinblick auf den Umfang des solchen Erfüllungsrückstandes steht dem Finanzgericht eine eigene Schätzungsbefugnis zu (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO).

 

Normenkette

EStG § 5 Abs. 1, 4a; FGO § 96 Abs. 1 S. 1; HGB § 249 Abs. 1 S. 1; BGB § 320; EStG § 4 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Bildung einer Rückstellung wegen Erfüllungsrückstandes in Bezug auf die Betreuung bereits abgeschlossener Lebensversicherungsverträge, vgl. §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 und Abs. 4a Einkommensteuergesetz (EStG) i.V. mit § 249 Abs. 1 S. 1 Handelsgesetzbuch (HGB) und § 320 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Der Kläger (Kl.) ist selbständiger Versicherungsvertreter. Er ist in dieser Eigenschaft als Geschäftsstellenleiter der W (W) für das Gebiet der Stadt I tätig.

Die Bestellung zum hauptamtlichen Geschäftsstellenleiter erfolgte durch Vertrag vom 22.04.1991. Ausweislich dieses Vertrages ist der Kl. beauftragt, als selbständiger Gewerbetreibender für die W Versicherungen zu vermitteln sowie den Versicherungsbestand zu pflegen und zu erhalten (vgl. Ziffern 2 und 3 des Vertrages). Als Vergütung für seine Tätigkeit bezieht der Kl. Abschluss-, Verwaltungs- und laufende Provisionen nach Maßgabe der für die W geltenden Provisionsbestimmungen (vgl. Ziffer 4 des Vertrages). Für die Vermittlung von Lebensversicherungen erhält der Kl. nach eigenen Angaben ausschließlich eine einmalige Abschlussprovision. Deren Höhe errechnet sich aus der Beitragssumme bzw. dem Tarifjahresbeitrag des ersten Versicherungsjahres. Eine weitere Vergütung in Form einer Verwaltungsprovision oder einer anderweitigen laufenden Provision bezieht der Kl. bei der Vermittlung von Lebensversicherungen nicht (vgl. Anlage Provisionsbestimmungen Lebentarifwerk 2000). Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Geschäftsleiter-Vertrag nebst Anlagen verwiesen (Bl. 25 ff. Gerichtsakte).

In seiner Gewinnermittlung für das Streitjahr 2004 passivierte der Kl. eine Rückstellung für den in der Zukunft im Hinblick auf Lebensversicherungsvertragsverhältnisse geschuldeten Betreuungsaufwand (Erfüllungsrückstand) i.H. von insgesamt 285.846,– EUR. Den Zeitaufwand für die Betreuung setzte er mit durchschnittlich 1,25 Stunden pro Bestandsvertrag und Jahr an. Die Aufwendungen ermittelte er auf der Grundlage der von ihm an die mit der Bestandsbetreuung befassten Mitarbeiter gezahlten Stundenlöhne. Die von ihm – dem Kl. – selbst erbrachten Betreuungsleistungen bezifferte er mit 10%; dieser Anteil wurde bei der Ermittlung der Rückstellung nicht berücksichtigt. Hinsichtlich der Berechnung der Rückstellung wird auf die vom Kl. übermittelten Unterlagen (Bl. 35 und 36 der Gerichtsakte) verwiesen.

Im Jahr 2006 führte der Beklagte (Bekl.) beim Kl. eine steuerliche Außenprüfung für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2004 durch. Der vom Kl. gebildeten Rückstellung wegen Erfüllungsrückstandes wurde dabei die steuerliche Anerkennung versagt. In Textziffer 2.2.16 des Betriebsprüfungsberichts heißt es:

„Die Bfa hat zum 31.12.2004 (erstmalig) eine Rückstellung für Bestandpflege in Höhe von 285.846,– EUR gebildet.

Aufgrund des Vertrages vom 22.04.1991 zwischen der versicherung und der Bfa ist letzere dazu verpflichtet, Lebensversicherungsverträge auch nach deren Abschluss zu betreuen. Die Bfa erhält von der versicherung lediglich eine sog. Abschlussprovision; für den nach dem Versicherungsabschluss anfallenden Betreuungsaufwand erhält sie keine gesonderte Vergütung mehr.

Die Bfa sieht in der Abschlussprovision zum Teil eine schuldrechtliche Vorleistung der versicherung, da für sie ein Erfüllungsrückstand in Form der Nachbetreuung bestehe. Für diese am Bilanzstichtag noch ungewisse, aber wirtschaftlich bereits verursachte Verbindlichkeit sei nach § 5 Abs. 1 EStG in Verbindung mit § 249 Abs. 1 S. 1 HGB eine Rückstellung zu bilden.

Die Rückstellung wird nicht zum Abzug zugelassen, da die Verpflichtung zur Betreuung der Lebensversicherungsverträge nicht zu einem Erfüllungsrückstand für die Bfa führt.

Diese ist nämlich aufgrund ihres Vertrages vom 22.04.2001 mit der versicherung (nicht aber aus den vermittelten Versicherungsverträgen) zur Nachbetreuung verpflichtet. Gleichzeitig wird der Bfa in dem Vertrag das Recht eingeräumt, als Versicherungsvertreter für die Lebensversicherungsverträge abzuschließen.

Da dieses Recht einerseits und die Verpflichtung zur Nachbetreuung andererseits sich gegenseitig ...

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