Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung eines Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft für deren Steuerschulden

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wenn die finanziellen Mittel einer Kapitalgesellschaft nicht zur Befriedigung aller Gläubiger ausreichen, dann begeht der gesetzliche Vertreter eine Pflichtverletzung, wenn er es versäumt, die Steuerschulden der Gesellschaft in etwa dem gleichen Verhältnis zu tilgen wie die Forderungen der anderen Gläubiger (sog. Grundsatz der anteiligen Tilgung).

2. Grob fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt, zu welcher er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und im Stande ist, in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht lässt.

3. Die Frage, welche Anforderungen an eine haftungsbegründende grobe Fahrlässigkeit eines Geschäftsführers zu stellen sind, kann nicht allgemein beantwortet werden, sondern richtet sich nach den Besonderheiten des einzelnen Falles.

4. Wenn die Kapitalgesellschaft zum Zeitpunkt der Steuerfälligkeit oder danach nicht über ausreichende Finanzmittel verfügt, um sämtliche Gesellschaftsverbindlichkeiten einschließlich der Steuerschulden tilgen zu können, dann handelt der Geschäftsführer i.d.R. grob fahrlässig, wenn er die vorhandenen Mittel nicht zu einer in etwa gleichmäßigen Befriedigung aller Verbindlichkeiten einsetzt.

 

Normenkette

AO §§ 69, 166, 191 Abs. 1; FGO §§ 69, 102; AO § 34

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe ein Haftungsbescheid von der Vollziehung auszusetzen ist.

Die Antragstellerin war im Streitzeitraum alleinige Geschäftsführerin, alleinige Gesellschafterin und einzige Mitarbeiterin der im Jahr 2015 gegründeten B UG (B UG). Gegenstand des Unternehmens der B UG war die Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen ….

Im Rahmen einer im Juni 2020 bei der B UG durchgeführten Betriebsprüfung (Bp) vertrat die Prüferin im Bp-Bericht vom 17.06.2020 unter Tz. 2.2 die Auffassung, dass die Gehaltszahlungen der B UG an die Antragstellerin im Zeitraum Januar 2016 bis einschließlich März 2018 verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) darstellten, die steuerlich außerbilanziell wieder hinzuzurechnen seien. Insgesamt seien der Antragstellerin vGA in Höhe von 11.570,00 € (2016), 12.900,00 € (2017) und 6.800,00 € (2018) zugeflossen. Der Antragsgegner folgte den Feststellungen der Bp und erließ mit Datum vom 14.07.2020 gegenüber der B UG geänderte Körperschaftsteuerbescheide sowie Gewerbesteuermessbescheide für die Streitjahre 2016 bis 2018.

Hiergegen legte die B UG am 10.08.2020 Einsprüche ein; zugleich beantragte sie die Aussetzung der Vollziehung (AdV) der angefochtenen Bescheide. Nachdem der Antragsgegner den Antrag auf AdV abgelehnt hatte, beantragte die B UG beim Finanzgericht Münster AdV. Der Senat lehnte den Aussetzungsantrag mit Beschluss vom 17.12.2020 (9 V 3080/20 K, G) ab. Mit Einspruchsentscheidung vom 02.02.2021 wies der Antragsgegner die Einsprüche gegen die Körperschaftsteuerfestsetzungen als unbegründet zurück. Eine Klage hiergegen hat die B UG nicht erhoben.

Am 24.03.2021 wurde – auf den Antrag der Antragstellerin vom 02.02.2021 – über das Vermögen der B UG das Insolvenzverfahren eröffnet (Amtsgericht C, Aktenzeichen … IN …/21). Zur Insolvenzverwalterin wurde Frau Rechtsanwältin D aus C ernannt.

Mit Haftungsbescheid vom 01.04.2021 (Bl. 4 der Gerichtsakte im Verfahren 9 K 1904/21 K) nahm der Antragsgegner die Antragstellerin als Geschäftsführerin gem. § 191 Abs. 1, §§ 69, 34 der Abgabenordnung (AO) für Steuerschulden der B UG in Höhe von 5.484,04 € zzgl. Säumniszuschlägen in Höhe von 396 €, insgesamt 5.880,04 €, für den Haftungszeitraum vom 17.08.2020 bis zum 24.03.2021 in Haftung. Wegen der Zusammensetzung der Steuerschulden im Einzelnen wird auf den Haftungsbescheid vom 01.04.2021 verwiesen. Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, die Antragstellerin habe ihre Pflichten aus dem Steuerschuldverhältnis verletzt, indem sie die vorgenannten Steuerverbindlichkeiten der B UG nicht beglichen habe. Die Antragstellerin habe die Pflichtverletzungen zumindest grob fahrlässig begangen, weil ihr die Fälligkeitstermine bekannt gewesen seien und sie trotz vorhandener Mittel keine (anteiligen) Tilgungsleistungen erbracht habe. Auch habe die Antragstellerin trotz Aufforderung durch den Antragsgegner keine Angaben dazu gemacht, in welcher Höhe die Antragstellerin andere Gläubiger im Haftungszeitraum befriedigt habe. Es bestehe daher zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung und dem eingetretenen Steuerausfall (Haftungsschaden) auch ein adäquater Kausalzusammenhang, weil in Anbetracht der unterbliebenen Mitwirkung davon auszugehen sei, dass die Steuerschuldnerin die Steuerschulden bei ordnungsgemäßer Erfüllung der steuerlichen Pflichten vollständig hätte begleichen können. Die Entscheidung sei auch ermessensgerecht, da der Antragsgegner die Steuerschuldnerin erfolglos zur Zahlung der rückständigen Ansprüche aufgefordert habe. Vollstreckungsversuche in das Vermögen der Gesellschaft seien ohne Erfolg geblieben un...

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