Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozesskosten von Eltern für Umgangsrechtsstreit betreffend das gemeinsame minderjährige Kind als außergewöhnliche Belastung unter Geltung von § 33 Abs. Abs. 2 S. 4 EStG i. d. F. d. AmtshilfeRLUmsG ab dem VZ 2013

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 33 Abs. 2 S. 4 EStG i. d. F. des AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013 (BGBl 2013 I S. 1809) regelt ein grundsätzliches Abzugsverbot für alle Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits, selbst wenn diese Aufwendungen als zwangsläufig i. S. d. § 33 Abs. 1, 2 EStG anzusehen wären. Dabei zählen zu den Prozesskosten alle mit einem Rechtsstreit zusammenhängenden Kosten, wie z. B. auch Fahrtkosten zum Gericht oder Anwalt.

2. Die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen von Eltern für einen Umgangsrechtsstreit betreffend minderjährige Kinder als außergewöhnliche Belastungen richtet sich ab dem Veranlagungszeitraum 2013 allein nach dem mit Wirkung ab 2013 neu eingefügten und als Sonderregelung (lex specialis) für Prozesskosten zu qualifizierenden § 33 Abs. 2 S. 4 EStG.

3. Der Begriff „Existenzgrundlage” in § 33 Abs. 2 S. 4 EStG erfasst nicht allein die materielle Lebensgrundlage des Steuerpflichtigen. Vielmehr kann dieser Begriff ebenso wie die Formulierung „lebensnotwendige Bedürfnisse” in den Fällen, in denen der Kernbereich des menschlichen Lebens betroffen ist, auch die Gefahr des Verlustes psychischer oder ideeller Bedürfnisse erfassen (entgegen BFH, Urteil v. 18.5.2017, VI R 9/16; Anschluss an FG Düsseldorf, Urteil v. 13.3.2018, 13 K 3024/17). Demzufolge ist es verfassungsrechtlich geboten, Prozesskosten auch dann, wenn sie – unabhängig von der Betroffenheit der materiellen Existenzgrundlage – durch den grundgesetzlich geschützten Kernbereich des menschlichen Lebens veranlasst sind und zwangsläufig erwachsen, zum Abzug zuzulassen.

4. Stehen Drogenkonsum, eine extremistische Gesinnung sowie psychisch und physisch aggressives Verhalten des nicht sorgeberechtigten Vaters im Raum, der bislang keinen Kontakt zur inzwischen sechsjährigen Tochter hatte und nunmehr ein Umgangsrecht mit ihr gerichtlich geltend macht, und werden nach einer im Rahmen des Gerichtsverfahrens erteilten Stellungnahme eines Diplom-Psychologen persönliche Umgangskontakte zwischen der Tochter und ihrem Vater nicht als mit dem Kindeswohl vereinbar angesehen, so war die sorgeberechtigte Kindesmutter zum Schutz des Kindeswohls und damit zur Führung des Umgangsrechtsstreits verpflichtet und darf die von ihr insoweit zu tragenden Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung abziehen.

 

Normenkette

EStG 2013 § 33 Abs. 1, 2 Sätze 1, 4, Abs. 3; BGB § 1626 Abs. 1 S. 2; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 6

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 13.08.2020; Aktenzeichen VI R 27/18)

 

Tenor

1. Unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2013 vom 16. Oktober 2014, des Einkommensteuerbescheids 2014 vom 11. Februar 2016 und des Einkommensteuerbescheids 2015 vom 27. Oktober 2016, jeweils in der Gestalt der jeweiligen hierzu ergangenen Teil-Einspruchsentscheidung vom 11. Januar 2017, werden die Einkommensteuern 2013, 2014 und 2015 mit der Maßgabe geändert, dass weitere außergewöhnliche Belastungen i.S.d. § 33 Abs. 1 EStG in 2013 i.H.v. … EUR, in 2014 i.H.v. … EUR und in 2015 i.H.v. … EUR berücksichtigt werden und die zumutbare Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG für 2013 mit … EUR, für 2014 mit … EUR und für 2015 mit … EUR angesetzt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Berechnung der Einkommensteuern wird dem Beklagten übertragen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin zu 23/100 und der Beklagte zu 77/100.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung von Aufwendungen im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten als außergewöhnliche Belastungen sowie über den Ansatz eines Behinderten-Pauschbetrags gemäß § 33b Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG).

Die Klägerin ist alleinerziehende Mutter der am … 2006 geborenen Tochter C. Mit dem Vater der Tochter war sie nicht verheiratet. Sie machte in ihren Steuererklärungen für die Streitjahre 2013-2015 neben Krankheitskosten Aufwendungen für folgende rechtliche Streitigkeiten als außergewöhnliche Belastungen geltend:

Behandlungsfehler Zahnarzt

Bei der Klägerin führten zwei Implantate zu Entzündungen und zum Abbau des Kieferknochens. Dies wurde nicht frühzeitig erkannt und führte zu einem chirurgischen Noteingriff, bei dem die Implantate sowie Teile des Kiefers entfernt werden mussten. In der Folgezeit musste in mehreren Operationen künstlich ein Kieferaufbau erfolgen und neue Implantate gesetzt werden. Die Klägerin strengte wegen Behandlungsfehler einen Prozess gegen den verantwortlichen Zahnarzt an und machte u.a. neben Behandlungskosten in Höhe von … EUR ...

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