Entscheidungsstichwort (Thema)

Verzinsung von unionsrechtswidrig einbehaltenen Kapitalertragsteuerbeträgen. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: VIII R 32/21)

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Zu Unrecht nicht erstattete Kapitalertragsteuererstattungsansprüche sind für den Zeitraum, in dem die Mittel dem Steuerpflichtigen nicht zur Verfügung stehen, zu verzinsen. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Unionsrecht. Die Verzinsungsmodalitäten richten sich nach den nationalen, allgemein gültigen Verzinsungsgrundsätzen.

2. Der Zinslauf beginnt, soweit der Steuerpflichtige das gesetzlich vorgesehene Freistellungsverfahren nicht genutzt hat, unter Beachtung eines angemessenen Prüfungszeitraums hinsichtlich des Kapitalertragsteuererstattungsantrages und in Anlehnung an Art. 19 Abs. 2 und Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 2008/9/EG vier Monate und zehn Arbeitstage nach Stellung des Erstattungsantrages (Anschluss an BFH vom 22.10.2019, VII R 24/18).

3. Soweit Kapitalertragsteuer einbehalten wurde, weil ein Freistellungsbescheid aus rechtswidrigen Gründen zurückgenommen wurde, besteht ein Verzinsungsanspruch ab dem Zeitpunkt des Steuereinbehalts.

 

Normenkette

AO § 238 Abs. 1; Richtlinie 2008/9/EG Art. 19 Abs. 2 der, Art. 22 Abs. 1 der; EStG § 50d Abs. 3

 

Nachgehend

BFH (Aktenzeichen I R 50/21)

 

Tatbestand

Im Rahmen einer Untätigkeitsklage ist streitig, ob der Beklagte verpflichtet ist, einen Kapitalertragsteuererstattungsanspruch der Klägerin zu verzinsen.

Die Klägerin ist eine in Österreich ansässige Gesellschaft.

Am 12.05.2009 stellte sie einen Antrag auf Freistellung und Erstattung von deutscher Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag in einer Gesamthöhe von … €, der mit Bescheid vom 12.07.2018 zugunsten der Klägerin beschieden wurde. Der Antrag vom 03.02.2011 über erstattungsfähige Steuern i.H.v. … € und vom 10.07.2012 über erstattungsfähige Steuern i.H.v. … € wurde ebenfalls mit Bescheiden vom 12.07.2018 zugunsten der Klägerin beschieden. Der Antrag vom 12.05.2009 über erstattungsfähige Steuern i.H.v. … € wurde mit Bescheid vom 28.09.2018 zugunsten der Klägerin beschieden. Die jeweiligen Anträge waren zunächst unter Hinweis auf § 50d Abs. 3 EStG abgelehnt worden. Die Einsprüche ruhten bis zur Abhilfe im Hinblick auf anhängige Musterverfahren.

Im Einzelnen gab es folgende Erstattungsvorgänge:

Bescheid vom

Registernummer

Kapitalertragsteuer-Einbehalt

Erstattungsantrag

Erstattete Kapitalertragsteuer zzgl. Solidaritätszuschlag

Erstattungsdatum

12.07.2018

AT09…

12.03.2008

12.05.2009

… €

13.08.2018

12.07.2018

AT11…

17.03.2009

03.02.2011

… €

13.08.2018

12.07.2018

AT12…

16.03.2011

10.07.2012

… €

13.08.2018

28.09.2018

AT09…

21.03.2007

12.05.2009

… €

01.10.2018

Am 14.8.2018 und 05.10.2018 beantragte die Klägerin die Festsetzung von Erstattungszinsen im Hinblick auf die erstatteten Abzugssteuern.

Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22.10.2018 ab. Der Beklagte wies darauf hin, dass im nationalen Recht keine Verzinsungsregelungen vorgesehen seien. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH käme eine Verzinsung nicht in Betracht, da im Hinblick auf die Erstattungsanträge keine Klagen anhängig gewesen seien. Vielmehr hätten außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren wegen vergleichbarer Klagen geruht.

Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Einspruch vom 23.11.2018. Zur Begründung trug sie vor, dass die Kapitalertragsteuererstattungsanträge unter Verstoß gegen unionsrechtliche Vorschriften zunächst abgelehnt worden seien. Eine Erstattung sei erst nach Feststellung der Unvereinbarkeit der nationalen Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG mit dem Unionsrecht durch den EuGH im Jahr 2018 erfolgt. Nach der Rechtsprechung des EuGH müsse eine Behörde für die Dauer einer unionsrechtswidrigen Erhebung einer Steuer einen Ausgleich für den eingetretenen Liquiditätsnachteil leisten. Im Streitfall habe man das Klageverfahren lediglich aus Praktikabilitätsgründen nicht geführt, sondern dem vorgeschlagenen Ruhen des Einspruchsverfahrens wegen anhängiger Parallelverfahren zugestimmt. Dies könne jedoch nicht dazu führen, dass ein Zinsanspruch nicht entstanden sei. Da nationale Vorschriften im Streitfall keine Verzinsung vorsähen, sei der Zinsanspruch unionsrechtlich begründet.

Den Einspruch beschied der Beklagte bis heute nicht. Der Beklagte wies darauf hin, dass die Frage der Verzinsung von Steuerabzugsbeträgen im Kontext von EuGH-Entscheidungen Gegenstand von Erörterungen der Finanzverwaltung auf Bund-/Länderebene sei.

Daraufhin erhob die Klägerin am 06.07.2020 eine Untätigkeitsklage.

Es entspreche der ständigen Rechtsprechung sowohl der nationalen Gerichte als auch des EuGH, dass Steuerbeträge, die unter Verstoß gegen die Vorschriften des Unionsrechts erhoben worden seien, zu verzinsen seien. Dies habe der BFH beispielsweise in seinem Urteil vom 22.10.2019 (VII R 24/18) ausdrücklich unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH festgehalten. Seit der Entscheidung des EuGH vom 20.12.2017 (C-504/16) sei die Rechtsfrage der Verzinsung geklärt. Es sei nicht v...

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