Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit der Pendlerpauschale

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Neuregelung der Pendlerpauschale durch das JStG 2007 verstößt nicht gegen das Grundgesetz.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, Abs. 2

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 03.09.2007; Aktenzeichen VI B 57/07)

BFH (Beschluss vom 03.09.2007; Aktenzeichen VI B 57/07)

 

Tatbestand

I. Der Kläger begehrt, im Wege der Lohnsteuerermäßigung die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als Werbungskosten zu berücksichtigen. Er ist Physiker und bezieht einen Arbeitslohn von über 70.000 EUR jährlich. Der Kläger hatte für 2007 beantragt, auf der Lohnsteuerkarte einen Freibetrag von 5.520 EUR einzutragen (230 Tage × 80 km × 0,30 EUR). Der Beklagte hatte diesen Antrag mit dem sich aus der Einspruchsentscheidung vom 11. Januar 2007 ergebenden Gründen abgelehnt und den Freibetrag nur hinsichtlich der Kosten für die Entfernung ab dem 21. Kilometer berechnet.

Der Kläger macht geltend, die gesetzliche Regelung in § 9 Abs. 2 EStG sei verfassungswidrig. Sie verstoße gegen das sog. Nettoprinzip, wonach nur dasjenige der Besteuerung zu unterwerfen sei, was nach Abzug der Erwerbsaufwendungen von den Einnahmen zur freien Verfügung übrig bleibe. Dies gebiete auch der Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und der gemäß Art. 6 Absatz 1 GG gebotene Schutz der Familie. Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gehörten zu den notwendigen Erwerbsaufwendungen. Sie seien deshalb bereits ab dem ersten Kilometer beruflich veranlasst.

Der Kläger beantragt, das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und dem BVerfG vorzulegen, hilfsweise das Verfahren bis zu einer Entscheidung des BVerfG über den Vorlagebeschluss des FG Niedersachsen 8 K 549/06 vom 27. Februar 2007 auszusetzen, äußerst hilfsweise den Beklagten unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 11. Januar 2007 zu verurteilen, auf der Lohnsteuerkarte für 2007 eine Lohnsteuerermäßigung aufgrund von Werbungskosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Höhe von 5.520 EUR abzüglich des Pauschbetrags gemäß § 9a Satz 1 Nr. 1a EStG in Höhe von 920 EUR einzutragen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Das Verfahren war nicht bereits gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen. Die Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG i.d.F. des StÄndG 2007 verstößt nicht gegen das Grundgesetz.

1. Der auf der Lohnsteuerkarte des Klägers eingetragene Freibetrag entspricht dem Gesetz und ist nicht zu beanstanden. Durch das Steueränderungsgesetz 2007 vom 19. Juli 2006 (BGBl I 2006, 1652; BStBl I 2006, 432) wurde hinsichtlich der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte eine Systemänderung vorgenommen. Die bisherige Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (a.F.), wonach Werbungskosten auch Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind, wurde aufgehoben. In § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG (i.d.F. des StÄndG 2007) heißt es nunmehr: „Keine Werbungskosten sind die Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte und für Familienheimfahrten.”

2. Die von der Neuregelung vorgenommene Zuordnung der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zur Privatsphäre ist entgegen der Ansicht des Klägers mit dem Grundgesetz vereinbar; der beschließende Senat folgt insoweit nicht der entgegenstehenden Ansicht des FG Niedersachsen in seinem Vorlagebeschluss vom 27. Februar 2007 8 K 549/06.

a) Die Neuregelung verstößt nicht gegen das objektive Nettoprinzip.

aa) Auch wenn die strikte Geltung des objektiven Nettoprinzips für das Einkommensteuerrecht vom BVerfG bisher offen gelassen wurde (Beschluss vom 4. Dezember 2002 2 BvR 400/98 und 1735/00, BStBl II 2003, 534, 540, m.w.N.), besteht nach Ansicht des beschließenden Senats Konsens in der Steuerrechtswissenschaft dahin, dass das verfassungsrechtliche Gebot der Lastengleichheit (objektives Nettoprinzip) prinzipiell dazu zwingt, die finanzielle Leistungsfähigkeit des Einzelnen nach dem Saldo aus den Erwerbseinnahmen einerseits und den Erwerbsaufwendungen andererseits zu bemessen und dementsprechend für die Ertragsbesteuerung an die einkommensteuerlichen Reineinkünfte bzw. das körperschaftsteuerliche Reineinkommen anzuknüpfen (BFH-Urteile vom 11. Mai 2005 VI R 16/04, BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789, vom 18. August 2005 VI R 32/03, BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30, vom 1. März 2005 VIII R 92/03, BFHE 209, 285, BStBl II 2005, 398 unter Bezugnahme auf BVerfG-Beschluss vom 4. Dezember 2002 2 BvR 400/98 und 1735/00, BVerfGE 107, 27, 47, BStBl II 2003, 534, 540; vgl. ferner BVerfG-Beschluss vom 8. Juni 2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 2005, 412, BFH/NV Beilage 2005, 33 und BFH-Urteil vom 6 Juli 2005 XI R 61/04, BFHE 210, 332, BStBl II 2006, 163). Zwar darf der Gesetzgeber das objektive Nettoprinzip beim Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen und sich generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen, die auch...

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