Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachhilfeunterricht kann auch ohne Bescheinigung der Landesbehörde umsatzsteuerfrei erteilt werden

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde i.S. des § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG ist ein Grundlagenbescheid, der das Finanzgericht bis zu seinem förmlichen Widerruf oder bis zum Ablauf einer Befristung bindet.

2. Eine Nachhilfelehrerin, die lese-, rechtschreib- oder rechenschwachen Schülern selbständig Nachhilfeunterricht erteilt, kann sich, auch wenn sie kein Hochschulstudium absolviert hat, grundsätzlich unmittelbar auf die Steuerfreiheit ihrer Leistungen gem. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL berufen.

 

Normenkette

UStG § 2 Abs. 1, 2 Nr. 1, § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb, Buchst. b Doppelbuchst. bb; MwStSystRL Art. 9 Abs. 1, Art. 10, 132 Abs. 1 Buchst. i und j; VwVfG § 49 Abs. 1, 2 Nr. 1 und 2

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Leistungen der Klägerin, die sie als Nachhilfelehrerin erbracht hat, umsatzsteuerfrei sind.

Die Klägerin ist staatlich geprüfte Erzieherin und war viele Jahre lang als Tages- und Pflegemutter tätig. Sie absolvierte am bundesdeutschen Institut für ... eine zweijährige private Ausbildung zur Kinder- und Jugendtherapeutin sowie eine weitere private Ausbildung an dem von Frau A betriebenen "E-Institut" in B zur "...-Beraterin". Hierbei handelt es sich um eine theoretische und praktische Ausbildung zur Legasthenie- und Dyskalkulietherapeutin nach einem von Ronald Davis entwickelten Konzept (vgl. www..., Ausdruck Finanzgerichtsakten -FGA- Bl. 30 ff.). Ferner nahm sie an einer zweijährigen Fortbildung am C Institut e. V. in B zum Thema "..." teil und an einer verhaltenstherapeutischen Fortbildung über das autistische Kind bei der "D Elterntherapie".

In den Streitjahren unterhielt die Klägerin einen Büroservice. Daneben war sie bis einschließlich 2007 als "...-Beraterin" für das E-Institut tätig. Für dieses Institut führte sie Legasthenie- und Dyskalkulietherapien durch. Sie unterrichtete jeweils ein Kind für jeweils eine Woche aufgrund eines mündlich mit dem E-Institut geschlossenen Vertrages. Der Unterricht fand z. T. in den Institutsräumen und z. T. im Haus der Klägerin statt. Die Klägerin legte den Inhalt des Unterrichts selbst auf der Grundlage des sog. "Davis-Konzeptes" fest. Dabei vermittelte sie den unterrichteten Kindern über das Basiswissen im Schreiben und Lesen hinaus die notwendigen Fähigkeiten, um trotz ihrer Lese-/Rechtschreib- bzw. Rechenschwäche dem Schulunterricht folgen zu können. Ihre Leistungen rechnete die Klägerin gegenüber dem Institut ab, das die Leistungen seinerseits den Eltern der unterrichteten Kinder weiterberechnete. Für ausgefallenen Unterricht erhielt die Klägerin keine Vergütung.

Ferner erteilte die Klägerin unabhängig von dem E-Institut Nachhilfeunterricht, der sich inhaltlich von den für das Institut erbrachten Leistungen nicht unterschied. Zum Teil unterrichtete sie Pflegekinder; die Kosten trug insoweit das Jugendamt.

Die Klägerin erzielte aus der Nachhilfetätigkeit in den Streitjahren folgende Umsätze (in €; vgl. Aufstellung des Beklagten vom 02.12.2009, Umsatzsteuerakten -UStA- Bl. 86):

E-Institut

sonstige Nachhilfe

2005

2.384,00

0,00

2006

5.015,15

0,00

2007

5.860,00

3.744,56

2008

0,00

2.899,30

Die Klägerin reichte für die Streitjahre - wie auch in den Vorjahren - jeweils Umsatzsteuererklärungen ein, in denen sie die Umsätze aus dem Büroservice als steuerpflichtig und die Umsätze aus der "Erziehungs- und Legasthenieberatung" als umsatzsteuerfrei erklärte.

Der Beklagte erließ am 10.12.2009 nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre, in denen er die Umsätze aus der Nachhilfetätigkeit als umsatzsteuerpflichtig behandelte. Die Steuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 21b Umsatzsteuergesetz (UStG) scheide aus, weil die Klägerin keine Bescheinigung i. S. des § 4 Nr. 21a UStG für das E-Institut vorgelegt habe. Die Leistungen seien weder als Heilbehandlung i. S. des § 4 Nr. 14 UStG zu qualifizieren noch als Leistungen im Rahmen der Fürsorge oder sozialen Sicherheit (§ 4 Nr. 25 UStG). Die auf die Unterrichtsleistungen entfallende Vorsteuer schätzte der Beklagte (Aktenvermerk vom 02.12.2009, UStA Bl. 86 f.). Es ergaben sich Nachzahlungen in Höhe von € 328,80 für 2005, € 641,68 für 2006, € 1.393,49 für 2007 und € 412,84 für 2008.

Die Klägerin legte mit Schreiben vom 12.01.2010 Einspruch gegen die Änderungsbescheide ein. Gegenstand ihrer Tätigkeit sei die Förderung bei Lern-, Lese-, Rechen-, Schreib-, Konzentrations- und Sprachschwierigkeiten von Kindern und Erwachsenen, denen dadurch zu einem regulären Schulabschluss verholfen werde. Der Beklagte habe die Umsätze in den Streit- und den Vorjahren in Kenntnis aller Umstände stets als umsatzsteuerfrei behandelt. Die Klägerin fügte dem Schreiben die dem "E Institut", X-Straße ..., von der Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung der ... B (im Folgenden: Schulbehörde) erteilte Bescheinigun...

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