Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen gemeinschaftsrechtswidrigen Bescheides

 

Leitsatz (amtlich)

Die Aufrechterhaltung eines gemeinschaftsrechtswidrigen Bescheides erweist sich nicht deshalb als "schlechthin unerträglich", weil der Ausführer mit Blick auf den Ausgang eines Musterverfahrens davon abgesehen hat, die Einspruchsentscheidung gerichtlich anzufechten; eine Verpflichtung der Behörde zur Korrektur des Bescheides besteht daher nicht.

Die Behörde hat aber im Rahmen ihrer Ermessungsentscheidung zu würdigen, dass der Ausführer darauf vertraut hat, dass ihm durch eine im Einspruchsverfahren getroffene Ruhensabsprache keine rechtlichen Nachteile erwachsen. Hat die Behörde diesen Umstand nicht berücksichtigt, ist sie zur Neubescheidung verpflichtet.

 

Normenkette

VwVfG § 48; FGO § 102; EG Art. 10

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 14.02.2012; Aktenzeichen VII R 27/10)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Aufhebung von zwei bestandskräftigen Bescheiden, mit denen das beklagte Hauptzollamt von ihr Ausfuhrerstattung zurückgefordert hatte.

Die Klägerin führte im Jahre 1991 Rindfleisch nach Ägypten aus, wofür ihr das beklagte Hauptzollamt zunächst im Vorschusswege, nach Freigabe der Sicherheiten sodann endgültig Ausfuhrerstattung gewährte. Die streitgegenständlichen Fleischpartien wurde gemeinsam mit Lieferungen von weiteren Erstattungsbeteiligten - u. a. der Firmen A und B - mit dem Schiff "C" nach Ägypten verschifft.

Ermittlungen des beklagten Hauptzollamtes in der Folgezeit ergaben, dass der ägyptische Zoll die Ware zunächst aufgrund eines zu hohen Fettgehaltes, der einem Verkauf des Fleisches in unverändertem Zustand nach ägyptischen Vorschriften entgegenstand, zurückgewiesen hatte. Auf den Einspruch des ägyptischen Importeurs war die Ware allerdings von der ägyptischen Zollverwaltung mit den Maßgaben freigegeben worden, dass die Kartons unter Angabe des tatsächlichen Fettgehalts neu zu etikettieren waren und dass das Fleisch der Verarbeitung nur unter Aufsicht der Gesundheitsbehörde zugeführt wurde. Diese Erkenntnisse sowie die weitere Feststellung, dass die Waren nach Verarbeitung auf Weisung der ägyptischen Behörden vernichtet bzw. unter Quarantäne gestellt und erst später unter Preisnachlass verkauft worden waren, nahm das beklagte Hauptzollamt zum Anlass, mit Rückforderungsbescheiden vom 16.09. und 06.10.1994 die der Klägerin gewährten Ausfuhrerstattungen über insgesamt DM 163.353,19 mit der Begründung zurückzufordern, dass die Abfertigung der Ware zum freien Verkehr und ihre anschließende Vermarktung in Ägypten nicht nachgewiesen sei.

Die Klägerin erhob gegen die Rückforderungsbescheide vom 16.09. und 06.10.1994 Einspruch. Im Verlauf des Einspruchsverfahrens stimmte die Klägerin dem Vorschlag des beklagten Hauptzollamtes zu, das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des zwischenzeitlich beim Finanzgericht Hamburg unter dem Az. IV 412/98 anhängigen Klageverfahrens der Firma A ruhen zu lassen.

Nachdem das Finanzgericht Hamburg mit Urteil vom 09.04.2002 (IV 412/98) die Klage der Firma A abgewiesen und der Bundesfinanzhof (BFH) die von der Firma A eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde gegen das finanzgerichtliche Urteil mit Beschluss vom 10.12.2002 (VII B 139/02) zurückgewiesen hatte, nahm das beklagte Hauptzollamt das Einspruchsverfahren der Klägerin wieder auf und wies deren Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 19.05.2003 unter Bezugnahme auf die in dem Musterverfahren ergangenen Entscheidungen des FG Hamburg und des Bundesfinanzhofes zurück. Die Einspruchsentscheidung vom 19.05.2003 ist bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 19.06.2006 beantragte die Klägerin sodann beim beklagten Hauptzollamt unter Hinweis auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 21.07.2005 in der Rechtssache C-515/03 (Eichsfelder Schlachtbetrieb GmbH), von dem sie im Mai 2006 Kenntnis erhalten hatte, die Rücknahme der Rückforderungsbescheide vom 16.09. und 06.10.1994. Sie führte insoweit aus, der Europäische Gerichtshof habe entschieden, dass die Bedingung für den Erhalt einer differenzierten Erstattung, scil. die Erfüllung der Zollförmlichkeiten für die Abfertigung des fraglichen Erzeugnisses zum freien Verkehr im Bestimmungsdrittland, erfüllt sei, wenn dieses Erzeugnis nach Entrichtung der Einfuhrabgaben in diesem Land einer wesentlichen Be- oder Verarbeitung im Sinne des Art. 24 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften unterzogen worden sei. Die im Streitfall erfolgte Verarbeitung der Ware in Ägypten unter der Aufsicht der dortigen Gesundheitsbehörde spreche daher nicht gegen deren Vermarktung, sondern sei im Gegenteil vielmehr als Beweis für die Vermarktung anzusehen. Die Rückforderungsbescheide vom 16.09. und 06.10.1994 seien deshalb unter Berücksichtigung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 21.07.2005 (C-515/03) als gemeinschaftsrechtswidrig anzusehen. Vor dem Hintergrund, d...

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