Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (BFH VII B 66/14)

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Kernbrennstoffsteuer, Verfahrensrecht: Aufhebung der Vollziehung wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit und Unionsrechtmäßigkeit des KernbrStG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der 4. Senat des Finanzgerichts Hamburg hält das Kernbrennstoffsteuergesetz für verfassungswidrig. Die Kernbrennstoffsteuer besteuere nicht den Verbrauch von Kernbrennstoffen oder elektrischen Strom, sondern sei eine Steuer zur Abschöpfung der Gewinne der Kraftwerkbetreiber. Deshalb habe sich der Bund zu Unrecht auf seine Gesetzgebungskompetenz für Verbrauchsteuern berufen (im Anschluss an den Vorlagebeschluss des FG Hamburg an das BVerfG vom 29.01.2013, 4 K 270/11).

2. Die Unionsrechtmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes ist ernsthaft zweifelhaft. Das in der europäischen Energiesteuerrichtlinie verankerte Prinzip der "Output-Besteuerung" verbietet es, neben dem elektrischen Strom selbst auch noch die Energieerzeugnisse zu besteuern, die zu seiner Produktion eingesetzt werden. Es ist durchaus möglich, dass dieses Verbot auch die in der Richtlinie nicht ausdrücklich genannten Kernbrennstoffe erfasst (im Anschluss an das Vorabentscheidungsersuchen des FG Hamburg an den EuGH vom 19.11.2013, 4 K 122/13).

3. Um das Bestehen begründeter Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Bescheids zu begründen, ist der Hinweis auf ein anhängiges Vorabentscheidungsersuchen zu den maßgeblichen Fragen an den EuGH hinreichend, dessen Ausgang nicht vorhersehbar ist.

4. Für die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz wegen ernstlicher Zweifel, ob das dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Gesetz unionsrechtmäßig ist, bedarf es über die in § 69 FGO ausdrücklich benannten Voraussetzungen hinaus keines besonderen Interesses des Antragstellers an der Gewährung von Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung.

5. Das für die Gewährung von einstweiligen Rechtsschutzes wegen ernstlicher Zweifel, ob das dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Gesetz verfassungsmäßig ist, von Teilen der Rechtsprechung verlangte besondere Aussetzungs- oder Aufhebungsinteresse ist dann gegeben, wenn das Gesetz dem BVerfG im Rahmen eines konkreten Normenkontrollverfahrens zur Prüfung vorgelegt worden ist. Dies gilt auch für Vorlagebeschlüsse eines Finanzgerichts.

 

Normenkette

RL 2008/118/EG Art. 1 Abs. 1-2; RL 2003/96/EG Art. 2 Abs. 1, 3, Art. 14 Abs. 1 Buchst. a); GG Art. 100 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 2-3, 6 S. 2, § 115 Abs. 2, § 128 Abs. 3 S. 2

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung der Vollziehung einer Steueranmeldung vom 08.06.2012 betreffend Kernbrennstoffsteuer, wobei zwischen den Beteiligten kein Streit besteht über die zutreffende Anwendung des Kernbrennstoffsteuergesetzes vom 08.12.2010 (BGBl. I S. 1804 - KernbrStG -), sondern ausschließlich über die Frage, ob das Kernbrennstoffsteuergesetz selbst rechtmäßig ist.

1. Die Antragstellerin betreibt von den neun gegenwärtig in Deutschland noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerken unter anderem das streitgegenständliche Kernkraftwerk in A. Sie ist im Besitz der dafür erforderlichen atomrechtlichen Genehmigung.

Im Juni 2013 wurden Brennelemente in den Kernreaktor des Kernkraftwerks eingesetzt und eine sich selbsttragende Kettenreaktion ausgelöst. Die Antragstellerin berechnete in ihrer Steueranmeldung vom 02.07.2013 Kernbrennstoffsteuer in Höhe von EUR 123.950.060 und erhob dagegen am 08.07.2013 beim Finanzgericht Hamburg (FG) Sprungklage (Az. 4 K 92/13). Das Verfahren ruht aufgrund des Beschlusses des FG Hamburg vom 14.08.2013.

Am 28.11.2013 hat die Antragstellerin, nachdem ihr Antrag auf Aufhebung der Vollziehung der angemeldeten und gezahlten Kernbrennstoffsteuer vom Antragsgegner abgelehnt worden war, beim Finanzgericht Hamburg um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.

2. In Bezug auf eine frühere Steueranmeldung der Antragstellerin vom 08.07.2011 für dasselbe Kernkraftwerk hat der beschließende Senat mit Beschluss vom heutigen Tag (Az. 4 V 154/13) deren Vollziehung aufgehoben. Der Senat verweist hinsichtlich des weiteren Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten auf den Inhalt jenes Beschlusses, ausgenommen die Ausführungen der Beteiligten, die sich auf die dortige Zulässigkeit des Antrags nach § 69 Abs. 6 FGO beziehen.

3. Die Antragstellerin beantragt,

die Vollziehung der am 02.07.2013 angemeldeten und gezahlten Kernbrennstoffsteuer in Höhe von EUR 123.950.060 ohne Sicherheitsleistung für den Zeitraum ab Fälligkeit der angemeldeten Kernbrennstoffsteuer bis einen Monat nach Zustellung der Entscheidung über den Abschluss des Klageverfahrens aufzuheben.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen,

hilfsweise

die Aufhebung der Vollziehung gegen Sicherheitsleistung anzuordnen.

4. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Sachakte des Antragsgegners verwiesen.

II.

Der Antrag hat Erfolg.

1. Der Antrag ist nach § 69 Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig, insbesondere ist ein zu...

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