Entscheidungsstichwort (Thema)

Bedeutung des Beziehens von Kindergeld seitens eines Ausländers im Heimatstaat für einen Anspruch dieses Ausländers auf Erziehungsgeld nach deutschem Recht

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Die Frage der Anwendbarkeit deutschen Kindergeldrechts für im Inland tätige EU-Bürger richtet sich nach § 62 EStG.
  2. Ein im Inland als Saisonarbeiter unbeschränkt steuerpflichtiger und im Heimatland als selbständiger Landwirt rentenversicherungspflichtiger polnischer Staatsbürger, dessen Kinder im Herkunftsland leben, hat Anspruch auf Kindergeld, wenn ein Anspruch auf vergleichbare Familienleistungen in Polen nicht besteht.
  3. Ein unstreitig bestehender innerstaatlicher Kindergeldanspruch kann nicht mit Hinweis auf die Regelungen der VO Nr. 1408/71 versagt werden, da dieser nicht die Bedeutung einer abschließenden Zuweisung des Kindergeldanspruchs an eines von mehreren betroffenen Ländern zukommt.
 

Normenkette

EStG §§ 62, 63 Abs. 1 S. 3, § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; AufenthG § 1 Abs. 2 Nr. 1; FreizügigkeitsG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 2; VO Nr. 1408/71 EG Art. 4 Abs. 11408/71 EG Art. 4 Abs. 1, Nr. 1408/71 EG Art. 131408/71 EG Art. 13

 

Streitjahr(e)

2005, 2006

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 18.07.2013; Aktenzeichen III R 9/09)

 

Tatbestand

Der seit dem Jahre 1995 verheiratete Kläger ist polnischer Staatsbürger. Er hat seinen (Familien-) Wohnsitz in Polen, wo er als (selbständiger) Landwirt tätig ist. Zum Haushalt des Klägers gehören die Kinder „K”, geboren am 6.01.2000 und „N”, geboren am 25.08.2004. Für die beiden Kinder erhält der Kläger seit Januar 2005 in Polen keine Familienbeihilfe (vgl. Bescheinigung nebst Übersetzung Bl. 90 u. 91 FG-Akte).

In der Zeit vom 11.01.2005 bis 1.04.2005 sowie vom 9.01.2006 bis 4.03.2006 war der Kläger vorübergehend in Deutschland als sog. Saisonarbeitskraft in einem Gemüsebaubetrieb tätig. Er erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 2.529 Euro in 2005 und 2.287 Euro in 2006. Das Finanzamt „W-Stadt” behandelte den Kläger als unbeschränkt steuerpflichtig, und setzte mit Steuerbescheiden vom 1.06.2007 die Einkommensteuer für die Jahre 2005 und 2006 auf jeweils 0 Euro fest.

Ausweislich der Bescheinigungen des Arbeitgebers war der Kläger in Deutschland im Hinblick auf seine selbständige Tätigkeit in Polen nicht sozialversicherungspflichtig. Nach einer Bestätigung der polnischen landwirtschaftlichen Sozialversicherung vom 17.05.2007 unterlag er in Polen vom 1.04.1991 bis 9.01.2006 sowie vom 5.03.2006 bis auf weiteres kraft Gesetzes der Renten-, Unfall- und Krankenversicherung.

Am 25.03.2007 beantragte der Kläger bei der Beklagten Kindergeld für seine beiden Kinder. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Anspruch auf Kindergeld sei nach Art. 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – AblEG – 1971 Nr. L 149/2 – Konsolidierte Fassung AblEG Nr. L 28 vom 30.01.1997) – VO Nr. 1408/71 – ausgeschlossen, weil er weiterhin in Polen sozialversicherungspflichtig gewesen sei.

Hiergegen hat der Kläger nach erfolglosem Einspruch Klage erhoben.

Zur Begründung hat er zunächst vorgetragen, dass sich das anzuwendende Recht gemäß Art. 13 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 a der VO Nr. 1408/71 nach dem sog. Beschäftigungslandprinzip bestimme. Danach sei allein entscheidend, an welchem Ort der jeweilige Arbeitnehmer beschäftigt sei. Vorliegend sei im maßgebenden Zeitraum das Beschäftigungsland unzweifelhaft die Bundesrepublik Deutschland gewesen. Damit kämen im Streitfall die Vorschriften des Einkommensteuergesetzes, insbesondere die §§ 62 ff EStG zur Anwendung. Die Voraussetzungen des § 62 EStG lägen bei ihm vor.

Anschließend hat der Kläger seinen Vortrag dahingehend „präzisiert”, dass es nicht auf die Regelung in Art. 13 der VO Nr. 1408/71 ankommen, sondern sich der Kindergeldanspruch unmittelbar nach Art. 73 der VO Nr. 1408/71 richte. Hiernach richte sich der Anspruch auf Familienleistungen von Arbeitnehmern, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, nach den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats, als ob die Familienangehörigen dort wohnten. Hiervon gehe nunmehr auch die aktuelle Rechtsprechung des Bundsfinanzhofs aus, der in Befolgung der sog. Petroni-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) den Kindergeldanspruch aus der EWG-DVO Nr. 574/72 in Verbindung mit §§ 62 ff EStG herleite, nachdem er die Rechtsprechung des EuGH zunächst falsch interpretiert habe. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den klägerischen Schriftsatz vom 25.03.2008 (Bl. 56 GA) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 19.09.2007 den Beklagten zu verpflichten, Kindergeld für die Kinder „K” und „N” in Höhe von insgesamt 2.156 EUR zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er weist darauf hin, dass der Kläger der Sozialversicheru...

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