vorläufig nicht rechtskräftig

Revision zugelassen durch das FG

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Differenzkindergeldanspruch einer in den Niederlanden tätigen Grenzgängerin: Kein Anspruchsausschluss bei Kindergeldbezug in den Niederlanden

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Eine in Deutschland wohnhafte und in den Niederlanden nichtselbständig tätige Grenzgängerin, die ausschließlich in den Niederlanden sozialversichert ist und dort Familienleistungen bezieht, hat Anspruch auf deutsches Kindergeld in Höhe der Differenz zu den niederländischen Familienleistungen.
  2. Als Kollisionsnorm ist Art. 10 Abs. 1 Buchst. a VO (EWG) 574/72 dahin auszulegen, dass er nicht nur einschlägig ist, wenn andere Personen als der Arbeitnehmer ebenfalls im Wohnsitzland einen Anspruch auf Familienleistungen haben, sondern auch für den Arbeitnehmer selbst gilt; das Beschäftigungslandprinzip des Art. 13 der VO (EWG) 1408/71 steht dem nicht entgegen (Anschluss an Urteil des FG Münster vom 30.04.2009 11 K 998/06 Kg, EFG 2009, 571; entgegen BVerfG-Beschluss vom 08.06.2004 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412 und BFH-Urteil vom 24.03.2006 III R 41/05, BStBl II 2008, 369).
  3. Die Regelung des § 65 EStG ist auf Grenzgänger auf Grund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht anwendbar.
 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2; VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 13 Abs. 1, 2 Buchst. a; VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 73; VO (EWG) 574/72 Art. 10 Abs. 1 Buchst. a; EG Art. 42

 

Streitjahr(e)

2009

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 18.07.2013; Aktenzeichen III R 71/11)

BFH (Urteil vom 18.07.2013; Aktenzeichen III R 71/11)

 

Tatbestand

Die Klägerin bezog für ihren am 22.01.2008 geborenen Sohn „A” fortlaufend Kindergeld.

Mit Schreiben vom 06.10.2009 teilte die niederländische Sociale Verzekeringsbank der Beklagten mit, dass die Klägerin seit dem 09.02.2009 in den Niederlanden beschäftigt sei. Auf Grund dessen bestehe ab April 2009 ausschließlich Anspruch auf niederländisches Kindergeld.

Mit Bescheid vom 27.10.2009 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung ab April 2009 gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf. Zur Begründung stellte sie darauf ab, dass auf Grund der Beschäftigung der Klägerin in den Niederlanden ab April 2009 ein ausschließlicher Anspruch auf niederländische Familienleistungen bestehe. Zugleich forderte die Beklagte das für den Zeitraum April 2009 bis Oktober 2009 i. H. v. 1.148,00 Euro gezahlte Kindergeld gemäß § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zurück.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 30.11.2009 Einspruch ein und trug zur Begründung vor: Sowohl der Kindesvater als auch sie selbst arbeiteten in den Niederlanden. Die Familie lebe in Deutschland. Richtig sei, dass sie ab April 2009 niederländische Familienleistungen bezogen habe. Dennoch bestehe ein Anspruch auf Differenzkindergeld, da die niederländischen Leistungen niedriger seien. Beigefügt war dem Einspruch eine Bescheinigung der niederländischen Behörde, aus der sich ergibt, dass der Kindergeldanspruch der Klägerin 194,99 Euro pro Quartal beträgt.

Die Beklagte wies den Einspruch in der Einspruchsentscheidung vom 07.12.2009 zurück. Zur Begründung stellte sie im Wesentlichen darauf ab, dass ein inländischer Kindergeldanspruch nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG vollständig ausgeschlossen sei, wenn ein Anspruch auf eine dem Kindergeld vergleichbare Leistung bestehe. Dies gelte auch dann, wenn - wie vorliegend - die ausländische Leistung niedriger als das deutsche Kindergeld sei.

Gegen die Einspruchsentscheidung hat die Klägerin am 06.01.2010 Klage erhoben und trägt ergänzend vor: Da die niederländischen Familienleistungen ab April 2009 lediglich pro Quartal 194,99 Euro betrügen, bestehe ein Anspruch auf Differenzkindergeld zu den in Deutschland bestehenden Ansprüchen. Zur weiteren Begründung werde auf die Entscheidung des Finanzgerichts Münster vom 30.04.2009 11 K 998/06 Kg verwiesen. Danach sei der Anspruch nach deutschem Recht nicht gemäß § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG ausgeschlossen. Die genannte Regelung werde durch Art. 10 Abs. 1 Buchst. a VO (EWG) 574/72 verdrängt. Danach bestehe ein Anspruch nicht nur, wenn andere Personen Anspruch auf Familienleistungen hätten, sondern auch in Bezug auf den Arbeitnehmer, also vorliegend sie selbst. Demzufolge ruhe der inländische Anspruch in Höhe des Anspruches auf niederländische Familienleistungen.

Die Klägerin beantragt,

den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 27.10.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.12.2009 insoweit aufzuheben, als die Beklagte die Bewilligung von Kindergeld für den Sohn „A” ab April 2009 hinausgehend über einen Betrag von 65,00 Euro aufgehoben hat und einen Betrag hinausgehend über 455,00 Euro zurückfordert.

Die Beklagte, die trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Beschluss vom 08.06.2004 2 BvL 5/00 (Sammlung der Entscheid...

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