Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendung des Freibetrages nach § 16 Abs. 4 EStG auf 100 %-ige GmbH-Beteiligung im Privatvermögen – Teilbetriebsfiktion des § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG – Verfassungsmäßigkeit der Ungleichbehandlung von Veräußerungsgewinnen nach § 16 EStG und nach § 17 EStG

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Der Gewinn aus der Veräußerung einer im Privatvermögen gehaltenen 100 %-igen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft unterfällt nicht dem Anwendungsbereich des § 16 EStG, so dass hierfür weder ein Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG noch der ermäßigte Steuersatz nach § 34 EStG zu gewähren ist.
  2. Bei einer das gesamte Nennkapital umfassenden Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft i.S.d. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG muss es sich insgesamt um notwendiges oder gewillkürtes (Sonder-) Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen handeln.
  3. Die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Veräußerungsgewinnen nach § 16 EStG und nach § 17 EStG stellt weder einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) noch gegen das Übermaßverbot (Art. 14 GG) dar.
 

Normenkette

EStG § 3 Nr. 40 S. 1 Buchst. c, § 3c Abs. 2, § 16 Abs. 1 Sätze 1, 1 Nr. 1 S. 2, Abs. 4, § 17 Abs. 1 S. 1, § 34 Abs. 2; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14

 

Streitjahr(e)

2017

 

Tatbestand

Streitig sind die Anwendung des Freibetrages nach § 16 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 EStG auf die Veräußerung einer im Privatvermögen gehaltenen, das gesamte Nennkapital umfassenden Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft.

Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Der Kläger wurde am (...) 1949 geboren. Er und die Klägerin gründeten am (...) die (...) GmbH (im Weiteren: GmbH), an deren Nennkapital der Kläger zu 90 % und die Klägerin zu 10 % beteiligt waren. Die Kläger hielten ihre Beteiligungen jeweils im Privatvermögen. Der Kläger war alleiniger Geschäftsführer der GmbH. Am (...) 2017 übertrug die Klägerin ihren Anteil an der GmbH unentgeltlich auf den Kläger. Die Anschaffungskosten der 100 %-igen Beteiligung betrugen insgesamt 26.000,- EUR.

Im (...) 2017 veräußerte der Kläger seinen 100 %-Anteil an der GmbH zu einem Verkaufspreis von 165.000,- EUR. Die Veräußerungskosten betrugen insgesamt 156,97 EUR.

Den Gewinn aus der Veräußerung der Anteile erklärte der Kläger in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2017 als Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 16 EStG und beantragte insoweit die Gewährung des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG. Bei der Ermittlung des erklärten Gewinns wendete er das Teileinkünfteverfahren an (§§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchstabe b, 3c Abs. 2 EStG).

Mit Bescheid vom 16.01.2019 setzte der Beklagte die Einkommensteuer 2017 fest. Den Veräußerungsgewinn qualifizierte er als solchen nach § 17 EStG und bezog ihn - nach Anwendung des Teileinkünfteverfahrens - in Höhe von 83.305,- EUR in die tarifliche Besteuerung (Splittingtarif) ein. Einen Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG gewährte er nicht, ebenso wenig eine Steuerermäßigung nach § 34 EStG.

Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein und führten zur Begründung aus, dass die Veräußerung der Anteile an der GmbH dem Anwendungsbereich des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG unterfalle, da es sich um die Veräußerung einer 100 %-igen Beteiligung handele. Der Veräußerungsgewinn nach § 16 EStG in Höhe von 138.843,- EUR sei um den Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG zu kürzen und der ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG anzuwenden.

Am 20.02.2019 wurde der angefochtene Bescheid aus hier nicht streitgegenständlichen Gründen geändert. Der Beklagte berücksichtigte den Veräußerungsgewinn weiterhin nach § 17 EStG und gewährte weder den Freibetrag (§ 16 Abs. 4 EStG) noch den ermäßigten Steuersatz (§ 34 EStG). Das zu versteuernde Einkommen beträgt 206.274,- EUR und die festgesetzte Einkommensteuer (nach Abzug der Ermäßigung für Handwerkerleistungen von 147,- EUR) insgesamt 69.537,- EUR.

Mit Einspruchsentscheidung vom 02.09.2019 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück und führte zur Begründung aus, dass die Veräußerung einer Beteiligung nur dann nach § 16 EStG zu versteuern sei, wenn die gesamte Beteiligung zum Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen gehöre. Der Kläger habe die Anteile - insoweit unstreitig - im Privatvermögen gehalten. Der Veräußerungsgewinn sei zutreffend nach § 17 EStG berücksichtigt worden.

Am 30.09.2019 haben die Kläger gegen die Einspruchsentscheidung Klage erhoben. Zur Begründung tragen sie vor, dass sowohl nach dem Wortlaut des § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG als auch nach der systematischen Stellung der §§ 15-17 EStG die Veräußerung einer das gesamte Nennkapital umfassenden Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft als Veräußerung eines Teilbetriebs nach § 16 EStG gelte, für die der Freibetrag des § 16 Abs. 4 EStG und die Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG anzuwenden seien. Keinesfalls handele es sich um eine Veräußerung von Anteilen nach § 17 EStG, da hierin ein gänzlich anderer ...

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