vorläufig nicht rechtskräftig

Revision zugelassen durch das FG

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Sachliche Zuständigkeit für die Stundung einer Kindergeldrückforderung

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Die Übertragung der Zuständigkeit für die Bearbeitung von Rechtsbehelfen gegen Entscheidungen des Inkasso Services auf die Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord (zuletzt durch den Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit vom 24.10.2019 (33/2019) berührt nicht die sachliche Zuständigkeit der für den Wohnsitz des Kindergeldberechtigten zuständigen Familienkasse für Entscheidungen im Erhebungsverfahren.
  2. Auf die Klage gegen einen von dieser unzuständigen Behörde erlassenen ablehnenden Bescheid über die Stundung einer Kindergeldrückforderung ist der angegriffene Bescheid aufzuheben, ohne dass – ungeachtet gravierender Ermessensfehler - eine Verpflichtung der handelnden Behörde zur Vornahme der begehrten Stundung oder zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts in Betracht kommt.
  3. Eine leichte Fahrlässigkeit bei der Beachtung der Mitwirkungspflichten aus § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG führt noch nicht zur Stundungsunwürdigkeit.
  4. Es ist nicht ermessensgerecht, den Stundungsantrag eines nur unpfändbares Einkommen beziehenden und vermögenslosen Schuldners wegen Gefährdung der Forderung oder fehlender Stundungsbedürftigkeit abzulehnen.
 

Normenkette

AO § 6 Abs. 2 Nr. 6, § 37 Abs. 2, § 126 Abs. 2, §§ 127, 222; FVG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 11 Sätze 2, 4; FGO §§ 101-102; EStG § 68 Abs. 1 S. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 24.02.2022; Aktenzeichen III R 1/21)

 

Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Ablehnung einer Stundung.

Die Klägerin besitzt die syrische Staatsangehörigkeit und lebt seit 2006 in Deutschland. Spätestens am 30.06.2015 wurde ihr eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erteilt und am 03.07.2018 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Im September 2015 stellte die Klägerin einen Antrag auf Kindergeld für ihre beiden Kinder. Nach Aufforderung der Familienkasse Z, ggfs. einen Nachweis über die Ausübung einer Erwerbstätigkeit einzureichen, übersandte sie eine Arbeitgeberbescheinigung vom 22.10.2015, wonach sie in Teilzeit in einer Pizzeria arbeitete. Die Familienkasse Z nahm dies zum Anlass, mit Bescheid vom 24.11.2015 ab Juni 2015 für beide Kinder Kindergeld zugunsten der Klägerin festzusetzen.

Im Jahr 2017 zog die Klägerin in den Zuständigkeitsbereich der Familienkasse M. Nachdem die Klägerin auf die Aufforderung, Nachweise zu ihrer Beschäftigung einzureichen, nicht reagiert hatte, hob die Familienkasse M die Kindergeldfestsetzung für beide Kinder mit Bescheid vom 15.05.2018 für den Zeitraum Dezember 2015 bis Januar 2018 auf und forderte das für diesen Zeitraum gezahlte Kindergeld i.H.v. 9.932 € von der Klägerin zurück. Die Klägerin legte gegen den Bescheid Einspruch ein und fügte diverse Verdienstabrechnungen bei. Infolgedessen wurde mit Bescheid vom 20.06.2018 für die Monate Dezember 2015 bis Januar 2016 und April bis Dezember 2016 erneut Kindergeld festgesetzt und der Rückforderungsbetrag auf 5.756 € reduziert. Im Übrigen wurde der Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 15.10.2018 als unbegründet zurückgewiesen. Klage wurde nicht erhoben.

Im Oktober 2018 bat die Klägerin darum, die Forderung in Raten von 10 € pro Monat tilgen zu dürfen. Dieses Begehren wurde als Stundungsantrag ausgelegt und von dem Inkasso-Service der Agentur für Arbeit Recklinghausen mit Bescheid vom 10.01.2019 abgelehnt. Die Klägerin legte gegen die Stundungsablehnung Einspruch ein und bot Ratenzahlungen i.H.v. 40 bis 50 € pro Monat an.

Der Einspruch wurde von der Beklagten, der Familienkasse NRW Nord, mit Einspruchsentscheidung vom 09.09.2019 als unbegründet zurückgewiesen. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass die Klägerin nicht stundungswürdig sei, weil sie ihre Mitteilungspflichten aus § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG schuldhaft verletzt habe. Denn sie habe der Familienkasse nicht mitgeteilt, dass sie im Februar und März 2016 sowie ab Januar 2017 keiner Beschäftigung mehr nachgegangen sei; das Erfordernis des Vorliegens einer Beschäftigung sei ihr aus dem früheren Verwaltungsverfahren bekannt gewesen. Zudem wurde die Ablehnung der Stundung auch damit begründet, dass die Forderung bei einer Stundung gefährdet sei, weil die Klägerin von unpfändbaren Einkommen (Arbeitslosengeld nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - SGB II) lebe und eine Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse weder vorgetragen noch absehbar sei.

Die Klägerin hat sodann Klage erhoben. Sie macht geltend, dass sie nicht schuldhaft gehandelt habe. Sie erhalte schon seit Jahren Leistungen nach dem SGB II, wobei das Kindergeld in einigen Monaten auf die Sozialleistungen angerechnet worden sei. Weder verstehe sie das Verhältnis zwischen den verschiedenen staatlichen Leistungen noch sei ihr bewusst gewesen, dass sie eine ”Nicht-Tätigkeit“ habe melden müssen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufh...

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