Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsatz der rechtsbehelfsführerfreundlichen Auslegung von bestimmten Schriftsätzen. Einspruchsentscheidung vom 22. März 2000 (Vermögensteuerbescheid 1. Januar 1995)

 

Leitsatz (redaktionell)

Legt ein nicht vertretener Rechtslaie beim FA Einspruch gegen die Einspruchsentscheidung ein, verlangt der Grundsatz einer rechtsbehelfsführerfreundlichen Auslegung bestimmter Schriftsätze eine vor Ergehen der Einspruchsentscheidung eindeutige und klare Rückfrage des FA nach dem tatsächlich angestrebten Rechtsbehelf.

 

Normenkette

FGO § 47 Abs. 2; BGB §§ 133, 157; AO 1977 § 367 Abs. 1 S. 1

 

Tenor

Die Einspruchsentscheidung vom 22. März 2000 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

 

Tatbestand

Der Kläger, ein Chemiker (Bl. 31 Rs.) und seine Ehefrau wurden am 29. April 1997 durch den Beklagten auf den Hauptveranlagungszeitpunkt 1. Januar 1995 zur Vermögensteuer veranlagt. Die Steuer, der im Wesentlichen Kapitalvermögen der Eheleute in Höhe von rd. 670.000 DM zugrunde lag, wurde auf den Einspruch des Klägers durch Änderungsbescheid vom 4. Juni 1997 von 9.000 auf 3.000 DM herabgesetzt (Bl. 17-20, 48 f. VSt), indem der Beklagte einen beanstandeten Additionsfehler behob. Die weiteren Rügen des Klägers, wonach gegen die Vermögensteuer verfassungsrechtliche Bedenken beständen und das Vermögen der Eheleute ab 1996 unter der Freigrenze liege, weil sie in diesem Jahr ein ihr gesamtes Kapital aufzehrendes und sogar eine Kreditaufnahme erfordernde teures Hausanwesen erworben hätten, berücksichtigte er nicht, da der Grundstückserwerb sich vermögenssteuerlich erst zum 1. Januar 1997 auswirke und ab diesem Stichtag ohnehin keine Vermögensteuerpflicht mehr bestehe (Bl. 11 f. = 19 f. VSt; 21 ff., 50 VSt).

Hierwegen hielt der Kläger seinen Einspruch aufrecht (Bl. 9 FG = 2 Rb, 8 FG = 53 VSt). Es sei angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – zur Vermögensteuer mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar, dass diese Steuer für 1996 noch anfallen solle, nur weil der Grundstückserwerb statt bereits im Dezember 1995 erst im 1. Quartal 1996 stattgefunden habe (Bl. 8 FG = 53 VSt).

Mit der Begründung, das BVerfG habe klargestellt, dass das Vermögensteuergesetz – VStG – noch für Veranlagungen gelte, die Veranlagungszeiträume bis einschließlich 1996 beträfen, wies der Beklagte den Einspruch durch am 18. Oktober 1999 zur Post gegebene Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 1999 (Bl. 13 ff. FG, 4 Rb), in welcher der Kläger über den Klageweg zum Finanzgericht des Saarlandes belehrt wurde (Bl. 5 Rb), als unbegründet zurück.

Mit Schreiben vom 27. Oktober 1999, eingegangen beim Beklagten am 3. November 1999, legte der Kläger gegen die vorgenannte Einspruchsentscheidung „Einspruch” ein, weil sich der Beklagte mit dem Einwand im ersten Einspruchsschreiben, infolge der Kapitalaufzehrung durch den Grundstückserwerb von 1996 müsse Vermögensteuerfreiheit schon für dieses Jahr gegeben sein, bislang nicht auseinander gesetzt habe (Bl. 7 FG = 7 Rb). Auf eine mit materiellrechtlichen Ausführungen insbesondere zum Stichtagsprinzip des VStG verbundene Anfrage des Beklagten vom 23. November 1999, ob der Kläger sein Schreiben vom 27. Oktober 1999 als Einspruch behandelt wissen wolle (Bl. 8 Rb), bat dieser um einen rechtsmittelfähigen Bescheid betreffend die Vermögensteuer 1996 (Bl. 5 FG = 10 Rb). Ebenso wie Kfz- oder Einkommensteuervorauszahlungen zeitgenau abgerechnet würden, müsse dies im EDV-Zeitalter auch für die Vermögensteuer möglich sein (Bl. 7 FG = 7 Rb, 4 f. = 9 f. Rb).

Durch Einspruchsentscheidung vom 22. März 2000 (Bl. 16 ff.) verwarf der Beklagte den erneuten Einspruch des Klägers als unzulässig, weil das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren hinsichtlich des den Veranlagungszeitraum 1996 einschließenden Vermögensteuerbescheides 1. Januar 1995 durch die Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 1999 abschließend beschieden worden sei (Bl. 16 ff.).

Mit seiner dagegen am 14. April 2000 beim Beklagten angebrachten Klage, die am 19. April 2000 bei Gericht eingegangenen ist, beantragt der Kläger sinngemäß (Bl. 2 f., 26),

die Einspruchsentscheidung vom 22. März 2000 aufzuheben.

Er habe bis heute immer noch keinen rechtsmittelfähigen Bescheid zu der von ihm bereits in seinem ersten Einspruch vom 2. Mai 1997 monierten Festsetzung der Vermögensteuer nach Stichtag statt nach einer zeitgenauen Vermögensberechnung (Bl. 2) erhalten. Dazu habe sich der Beklagte bislang lediglich formlos geäußert, so dass das Einspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen sei (Bl. 3, 26). Auch die Rechtsbehelfsstelle des Beklagten habe sein Schreiben auf die Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 1999 als noch offenen Einspruch verstanden (Bl. 26).

Der Beklagte beantragt (Bl. 24),

die Klage als unbegründet abzuweisen.

Er räume ein, dass die Einspruchsentscheidung vom 13. Oktober 1999 zu der vom Kläger betreffend die Vermögensteuer 1996 angeschnittenen Rechtsfrage nicht Stellung genommen habe. Das mache diese Entsche...

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