rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Familienleistungen in Polen schließt inländischen Kindergeldanspruch einer im Inland gewerblich tätigen polnischen Staatsbürgerin für ihre bei dem Vater in Polen lebenden Kinder aus

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine in Deutschland lebende polnische Staatsbürgerin, die weder im Rahmen ihrer in Deutschland ausgeübten gewerblichen Tätigkeit versichert und versicherungspflichtig noch in ihrem Herkunftsland sozial- und krankenversichert ist, unterfällt nicht dem persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71.

2. Es steht nicht im Belieben der Kindergeldberechtigten, durch Verzicht auf eine Antragstellung in einem vorrangig zuständigen Mitgliedstaat einen Anspruch in einem nachrangigen Staat zu begründen.

3. Die in Polen zu beanspruchenden Familienleistungen sind grundsätzlich dem in Deutschland gewährten Kindergeld vergleichbar. Der Anspruch auf Familienleistungen in Polen schließt daher den Kindergeldanspruch einer im Inland gewerblich tätigen polnischen Staatsbürgerin für ihre bei dem Vater in Polen lebenden Kinder aus.

 

Normenkette

EStG § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; EWGV 1408/71 Art. 1 Buchst. a, Art. 2 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 13.11.2014; Aktenzeichen III R 1/13)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin hat die polnische Staatsangehörigkeit. Sie ist seit dem 12.06.1982 verheiratet mit D., geb. 1954, und die Mutter der gemeinsamen Kinder E., geb. 02.11.1982, B., geb. 15.01.1988, und C., geb. 30.01.1989.

Am 07.07.2005 stellte sie bei der Beklagten einen Antrag auf Kindergeld für die drei Kinder, die sich in Polen aufhielten. Ihre Anschrift gab sie mit F.-straße in G. an, der Ehemann lebe in Polen. Sie sei unter der angegebenen Adresse selbständig erwerbstätig und daher in Deutschland nicht sozialversichert. Beigefügt waren eine Meldebestätigung zum 06.06.2005, eine für die Klägerin ausgestellte Freizügigkeitsbescheinigung, eine Gewerbeanmeldung zum 30.06.2005 für die „Betreuung von Behinderten und älteren Menschen, der Reinigung nach Hausfrauenart sowie Büroservice”, eine polnische Meldebestätigung vom 27.06.2005 für beide Eheleute und die drei Kinder, Ehe- und Geburtsurkunden sowie polnische Studien- und Schulbescheinigungen für die Kinder. In der Freizügigkeitsbescheinigung wurde die Notwendigkeit einer Arbeitserlaubnis- oder Arbeitsberechtigung-EU für die Aufnahme einer unselbständigen, arbeitsgenehmigungspflichtigen Erwerbstätigkeit gemäß § 13 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern in der bis 31.12.2006 gültigen Fassung (FreizügG/EU) bescheinigt. Weiter beigefügt war ein Beschluss der polnischen Sozialversicherungsanstalt vom 24.09.2004 über die Feststellung des Rechtes auf Familiengeld – Familiengeldzulagen zu Gunsten des Ehemanns. Darin heißt es, auf den Antrag vom 14.09.2004 stehe ihm seit dem 01.09.2004 und bis zum 31.08.2005 Familiengeld in Höhe von jeweils 43,– PLN für B. und C. zu. Das Familiengeld werde seit dem 01.10.2004 samt der Rente ausgezahlt.

Auf Nachfrage der Beklagten erklärte die Klägerin am 06.08.2005, der Ehemann arbeite nicht in Polen. Beigefügt waren der Mietvertrag vom 24.01.2005 für die 32 m² große Einzimmerwohnung in G. und eine Bestätigung der H. wohl über den Abschluss einer Risikolebensversicherung ab 01.08.2005.

Auf die Anforderung von Nachweisen für die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht in Deutschland und über die Aufträge und Abrechnungen im Rahmen der Selbständigkeit teilte die Steuerberaterin der Klägerin mit Schreiben vom 18.11.2005 mit, die Klägerin werde beim Finanzamt als uneingeschränkt Einkommensteuerpflichtige geführt. Als Kleinunternehmerin mit geringen Einkünften werde die Gewinnermittlung erst zusammen mit der Steuererklärung 2005 erstellt. Nachgereicht wurden drei Rechnungen/Quittungen über 220,– EUR, zwei Rechnung über 80,– EUR und eine über 200,– EUR für Reinigungsarbeiten durch die Klägerin.

Mit Bescheid vom 08.02.2006 entsprach die Beklagte dem Kindergeldantrag nur teilweise und setzte Kindergeld ab Juni 2005 in Höhe von 77,– EUR monatlich jeweils für die drei Kinder fest. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (im Folgenden: VO-1408/71) gelte nach deren Anhang I nur für Selbständige, die für den Fall des Alters versicherungs- oder beitragspflichtig oder in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert seien. Da die Klägerin in Deutschland nicht sozialversicherungspflichtig sei, werde sie von dem persönlichen Geltungsbereich der Regelung nicht erfasst, so dass der Anspruch in Polen den – nach §§ 62 Abs. 1 Nr. 2b, 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bestehenden – Anspruch in Deutschland nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 EStG ausschließe. Da diese Regelung mit Sinn und Zweck der gemeinschaftlichen Konkurrenzvorschriften nicht vereinbar sei, werde in Deutschland das hälftige Kindergeld gezahlt (Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.08.2002 – VII R 54/00 –...

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