Entscheidungsstichwort (Thema)

Unionsrechtliche Umsatzsteuerbefreiung für die Erteilung von Tangounterricht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der von einer ausgebildeten, selbstständig tätigen Tänzerin einer Gruppe von Tanzschülern erteilte Tangounterricht kann als von einem Privatlehrer erteilter Schul- und Hochschulunterricht i. S. d. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL umsatzsteuerfrei sein (Ausführungen zu den unionsrechtlichen Anforderungen an „Schul- und Hochschulunterricht”). Dem Merkmal „Privatlehrer” steht es nicht entgegen, dass die Unterrichtseinheiten mehreren Tanzschülern gleichzeitig erteilt werden. Insoweit ist auch unerheblich, ob die der Unterrichtserteilung zugrunde liegenden Rechtsbeziehungen unmittelbar mit den Schülern oder mit Dritten (zum Beispiel mit deren Eltern) bestanden haben.

2. Schul- oder Hochschulunterricht wird dann i. S. v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL von „Privatlehrern erteilt”, wenn die Lehrer dabei für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handeln und zwischen dem konkreten Inhalt des Unterrichts und den Qualifikationen der Unterrichtenden grundsätzlich ein Zusammenhang besteht [vgl. EuGH, Urteil v. 14.6.2007, C-445/05 (Haderer)]. Eine darüber hinausgehende, besondere pädagogische Qualifikation fordert das Unionsrecht nicht.

 

Normenkette

UStG § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb, Buchst. b; Richtlinie 2006/112/EG Art. 132 Buchst. i, j

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 24.01.2019; Aktenzeichen V R 66/17)

BFH (Urteil vom 24.01.2019; Aktenzeichen V R 66/17)

 

Tenor

Die Umsatzsteuer 2012 wird unter Aufhebung des Bescheides vom 22.10.2014 und der Einspruchsentscheidung vom 12.05.2015 dahingehend neu festgesetzt, dass die Umsätze der Klägerin aus den von ihr erteilten Tangokursen unberücksichtigt bleiben.

Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob von der Klägerin erteilter Tangounterricht von der Umsatzsteuer befreit ist.

Die Klägerin erzielte im Streitjahr Umsätze aus ihren Tätigkeiten als Dolmetscherin, im Filmgeschäft und als Tangolehrerin. Den Tangounterricht erteilte die Klägerin einerseits an der Volkshochschule – VHS – B… und andererseits als Privatlehrerin.

In ihrer Steuererklärung für das Streitjahr behandelte sie die Umsätze, die sie für die VHS ausgeführt hatte, als umsatzsteuerfrei. Der Beklagte folgte dem zunächst.

Im Juni 2014 führte der Beklagte bei der Klägerin eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch. Dabei kam der Prüfer zu der Auffassung, dass die Umsätze aus der Tätigkeit als Tanzlehrerin entgegen der Auffassung der Klägerin nicht steuerfrei seien. Steuerfrei nach § 4 Nr. 21 UmsatzsteuergesetzUStG – seien unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienende Leistungen einer privaten Schule oder einer anderen allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtung. Das Erlernen des Tangos diene hingegen der Freizeitgestaltung und die Umsätze der Klägerin aus den VHS-Kursen seien folglich mit dem Regelsteuersatz von 19 % zu besteuern. Im Jahr 2012 hätten sich die Einnahmen auf 4.220 EUR belaufen. Die Bemessungsgrundlage für die steuerpflichtigen Umsätze betrage 3.546 EUR und die darauf entfallende Steuer 673 EUR. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bericht vom 20.06.2014 verwiesen.

Mit dem Bescheid über Umsatzsteuer für 2012 vom 22.10.2014 wertete der Beklagte den Bericht aus und setzte für alle Umsätze aus der Tätigkeit der Klägerin als Tanzlehrerin Umsatzsteuer fest.

Mit ihrem Einspruch vom 10.11.2014 machte die Klägerin geltend, dass sie sich als EU-Bürgerin auf das EU-Recht berufen könne. Sofern das nationale Recht, hier § 4 Nr. 21 UStG nicht zutreffe, sei der Beklagte zur Anwendung des EU-Rechts verpflichtet. Hinsichtlich ihrer Tätigkeit bei der VHS als Tangolehrerin berufe sie sich auf Art. 132 Buchstabe i der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem – Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) –. Hinsichtlich ihrer selbständigen Tätigkeit berufe sie sich auf die Steuerfreiheit nach Art. 132 Buchst. j MwStSystRL. Soweit der Beklagte auf den Charakter der Kurse als Freizeitgestaltung hingewiesen habe, führe dies nicht zwingend zur Nichtanwendbarkeit der genannten Vorschriften. Im Übrigen habe es sich entgegen der Behauptung des Beklagten bei den Tangokursen nicht um eine reine Freizeitgestaltung gehandelt. Gleichartige Angebote fänden sich auch im Hochschulbereich wie etwa bei der Freien Universität Berlin Das Ziel der Kurse bestehe darin, Bildung und Wissen sowie die Entwicklung der Persönlichkeit zu fördern. Insoweit handele es sich um Kernaufgaben, die Gegenstand von Maßnahmen der EU zur Qualifizierung der...

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