Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids aufgrund fehlendem Bekanntgabewillen des FA. Unterbrechung der Festsetzungsverjährung durch Antragstellung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Zulässigkeit eines Einspruchs kann nicht Gegenstand eines gesonderten Feststellungsantrags sein.

2. Der Einspruch gegen einen bereits geänderten Bescheid ist unzulässig.

3. Ein Einkommensteuerbescheid ist nicht wirksam bekannt gegeben worden, wenn vom FA die Bekanntgabevollmacht nicht beachtet worden ist.

4. Liegt aufgrund der fehlehaften Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids gar keine wirksame Steuerfestsetzung vor, kann die Festsetzungsfrist nicht durch einen Antrag auf Änderung der Festsetzung unterbrochen werden.

5. Geht die den Verwaltungsakt erlassende Behörde selbst davon aus, dass durch eine erneute Bekanntgabe keine Rechtsfolgen mehr herbeigeführt werden können, bedeutet dies auch zwingend die Aufgabe des Bekanntgabewillens eines solchen Verwaltungsakts.

6. Ist ein Bescheid nicht wirksam bekannt gegeben worden, ist die Wahrung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 AO ausgeschlossen.

7. Voraussetzung für einen wirksamen Antrag nach § 170 Abs. 3 AO ist, dass dieser hinreichend bestimmt das steuerliche Begehren erkennen lässt.

 

Normenkette

FGO § 41 Abs. 2 S. 1, § 65 Abs. 1; EStG § 17; AO § 124 Abs. 2, § 122 Abs. 1 S. 3, § 169 Abs. 1 S. 3 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, § 170 Abs. 1, § 171 Abs. 3, 3a

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 11.04.2017; Aktenzeichen IX R 50/15)

BFH (Urteil vom 11.04.2017; Aktenzeichen IX R 50/15)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob Festsetzungsverjährung eingetreten ist oder ob zu Gunsten des Klägers ein Veräußerungsverlust nach Grund und Höhe zu berücksichtigen ist.

Der Kläger wurde im Streitjahr 2003 gemeinsam mit seiner – inzwischen von ihm geschiedenen – Ehefrau veranlagt.

Der Beklagte erließ mit Datum vom 29. Dezember 2009 (Bl. 48 ff. der Einkommensteuerakte) einen Einkommensteuerbescheid 2003 – jeweils getrennt – gegenüber dem Kläger und seiner damals bereits getrennt von ihm lebenden Ehefrau. Da der Kläger allerdings offenbar seit dem Veranlagungszeitraum 1998 (vgl. Bl. 205 der Einkommensteuerakte) weder eine Einkommensteuererklärung abgegeben noch sonst vollständige Angaben über seine steuerlichen Verhältnissen gemacht hatte, schätzte der Beklagte – soweit der Kläger betroffen war – dessen Besteuerungsgrundlagen. Den für den Kläger bestimmten Bescheid stellte der Beklagte jedoch nicht dessen Bekanntgabebevollmächtigten (vgl. Bl. 211 der Einkommensteuerakte) Vertreter, sondern dem Kläger mit Postzustellungsurkunde vom 30. Dezember 2009 (Bl. 51 der Einkommensteuerakte) persönlich zu. Der Bescheid stand unter Vorbehalt der Nachprüfung. Der Beklagte erkannte hierbei Verluste des Klägers im Sinne des § 17 EStG teilweise nicht an.

Gegen den Einkommensteuerbescheid 2003 legte – nur – die geschiedene Ehefrau des Klägers Einspruch zur Fristwahrung ein (Bl. 52 der Einkommensteuerakte) und nahm hierbei Bezug auf ein „laufendes Verfahren” – offenbar das Veranlagungsverfahren wegen Einkommensteuer 2002 (vgl. das Schreiben des Bevollmächtigten der Ehefrau des Klägers vom 18. Februar 2010, Bl. 58 f der Einkommensteuerakte, in dem dieser auf Verluste des Klägers aus früheren Jahren im Wege des Verlustabzugs hinwies). Hierauf forderte der Beklagte mit Schreiben vom 11. Februar 2010 (Bl. 55 der Einkommensteuerakte) den Kläger zur Vorlage der ihn betreffenden Angaben auf und wies darauf hin, dass bislang noch kein Antrag auf Zusammenveranlagung vorliege. Ferner wies er darauf hin, dass das „laufende Rechtsbehelfsverfahren”, auf welches die geschiedene Ehefrau des Klägers Bezug genommen habe, sich „nur mittelbar auf die Einkommensteuerveranlagung 2003” auswirke und bat um Einreichung einer Einspruchsbegründung und der Unterlagen zur Einkommensteuererklärung 2003. Das Schreiben blieb unbeantwortet.

Erstmals am 24. März 2011 (Bl. 60 ff. der Einkommensteuerakte) wurde für den Kläger eine – weder unterschriebene noch mit einem Hinweis auf einen Bevollmächtigten versehene – Einkommensteuererklärung eingereicht. Dieser war ein Schreiben vom 24. März 2011 (Bl. 73 f. der Einkommensteuerakte) des Bevollmächtigten des Klägers zur Frage der Beurteilung des Beteiligungsverkaufs der Beteiligung des Klägers an einer X AG beigefügt. Der Beklagte forderte hierauf weitere Unterlagen (Bl. 75 f. der Einkommensteuerakte) sowie vollständige Einkommensteuererklärungen der Jahre 2002 und 2003 an.

Offenbar wandte sich der Kläger hierauf an seinen Bevollmächtigten. In der Folge führten dieser und der Beklagte umfangreichen Schriftverkehr wegen der Ermittlung des Beteiligungsverlustes des Klägers an der X AG, an der der Kläger zu 17,9% beteiligt war und in dessen Rahmen der Kläger die steuerliche Berücksichtigung des Verlustes seiner Beteiligung in Höhe von 589.008 EUR sowie verschiedener von ihm gewährter Darlehen geltend machte.

Der Beklagt...

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