Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen für die Umsatzsteuerbefreiung innergemeinschaftlicher Fahrzeuglieferungen. kein Vertrauensschutz durch Umsatzsteuersonderprüfung. Kostenaufhebung im finanzgerichtlichen Verfahren

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Beleg- und Buchnachweise sind keine materiellen Voraussetzungen für die Befreiung als innergemeinschaftliche Lieferung, sondern bestimmen lediglich, dass und wie der Unternehmer die Nachweise zu erbringen hat.

2. Die innergemeinschaftliche Lieferung ist auch dann steuerfrei, wenn der Unternehmer den formellen Nachweispflichten nicht nachkommt, aber feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG erfüllt sind.

3. Ein Beleg dafür, dass ein Fahrzeug innergemeinschaftlich verbracht worden ist, kann die Zulassung des Fahrzeugs in einem Mitgliedstaat sein.

4. Die gemäß § 17a Abs. 2 Nr. 2 UStDV erforderliche Angabe des Bestimmungsorts kann sich auch aus der Rechnungsanschrift des Abnehmers ergeben.

5. Unerheblich für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1b UStG ist, ob im Bestimmungsland die Erwerbsbesteuerung durchgeführt worden ist.

6. Will der Verkäufer tatsächlich an die Besteller und Rechnungsempfänger liefern, liegt kein Scheingeschäft i.S.d. § 41 Abs. 2 AO vor.

7. Ist ein Unternehmen wirtschaftlich inaktiv, bedeutet dies nicht, dass es auch umsatzsteuerlich nicht als Unternehmer anzusehen ist.

8. Der Verkäufer von Fahrzeugen kann aufgrund der von dem Käufer vorgelegten ausländischen USt-IdNr. für den Regelfall davon ausgehen, dass seine Lieferung eine innergemeinschaftliche Lieferung ist.

9. Eine Reihengeschäft liegt nur dann vor, wenn der Abnehmer seinem Lieferant mitteilt, dass die Ware an einen Nacherwerber weiterverkauft wird und dabei bereits im Ausgangsmitgliedstaat vor der innergemeinschaftlichen Transportbewegung dem nachfolgenden Erwerber Verfügungsmacht verschafft wird und konkrete Hinweise vorliegen, dass der letzte Abnehmer den Warentransport veranlasst hat.

10. Beruht die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 1b UStG auf unrichtigen Angaben des Abnehmers und konnte der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben nicht erkennen, kann die Steuerbefreiung aus Gründen des Vertrauensschutzes zu gewähren sein.

11. Liegen keine objektiven Nachweise für eine physische Verbringung der Fahrzeuge nach Spanien vor, da entweder eine Zulassung nicht belegt wurde oder diese nicht zeitnah erfolgte, ist die Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 1b UStG zu versagen.

12. Eine Umsatzsteuersonderprüfung, die lediglich die Voranmeldungen zum Gegenstand hat, schafft kein Vertrauenstatbestand, der eine andere rechtliche Beurteilung des Jahresbescheides verhindert.

13. Die Vorlage von Zulassungsbescheinigungen während des Klageverfahrens ist nicht verspätet, wenn das FA diese während des Vorverfahrens weder anerkannt hat, noch zu erkennen gegeben hat, dass sie für eine Entscheidung zugunsten des Klägers erforderlich sind.

 

Normenkette

UStG § 4 Nr. 1b, § 6a Abs. 1, 4, § 3 Abs. 1, 6 S. 5; UStDV § 17a Abs. 2 Nr. 2; AO § 41 Abs. 2; FGO § 136 Abs. 1 S. 1, § 137 S. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 15.06.2012; Aktenzeichen V B 91/11)

 

Tenor

1. Der geänderte Bescheid wegen Umsatzsteuer 2001 vom 18. April 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. September 2009 wird dahingehend geändert, dass die steuerpflichtigen Umsätze aus Lieferungen und sonstigen Leistungen zu 16 % um 1.136.301,73 DM gemindert werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Dem Beklagten wird aufgegeben, die Umsatzsteuer 2001 nach Maßgabe der Entscheidungsgründe neu festzusetzen.

2. Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat die Klägerin in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn die Klägerin nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit geleistet hat.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist seit 1984 Inhaberin eines Autohandels in X. Ihr Ehemann (M) ist bei ihr angestellt. Sie liefert seit dem Jahr 2000 Fahrzeuge, insbesondere Typen der Marke Mercedes, nach Spanien. Kontakt hatte sie dort vor allem mit den Firmen Es1 oder Es 2. Die Fahrzeuggeschäfte wurden im Wesentlichen über die bis Ende 2001 für die Es1 tätige, deutsch sprechende Frau B abgewickelt. Ab 2002 war diese Inhaberin der Firma Es 3, die in Y / Spanien dieselbe Anschrift wie die Firma Es1 hatte. Alle Fahrzeuglieferungen erfolgten erst nach Vorkasse (überwiegend per Scheck) auf ein Girokonto in Spanien. Das Girokonto bei der Bank I in Y / Spanien hatte M auf seinen Namen eröffnet. Die Klägerin bewahrte die Unterlagen zu jedem Fahrzeuggeschäft in Ordnern getrennt nach der jeweiligen Auftragsnummer (Fz-Nr.) auf. Diese werden als „Fahrzeugakte” (Fz-Akte) be...

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