Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld für ein zum Schulbesuch im Ausland (hier: Jordanien) lebendes minderjähriges Kind

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei minderjährigen Kindern, die sich zum Zwecke des Schulbesuchs für mehrere Jahre im Ausland aufhalten und dort vor Ort bei Verwandten untergebracht sind, kann ein geringes Alter und eine daraus resultierende besondere Betreuungsbedürftigkeit dafür sprechen, dass kein Wohnsitz im Inland gegeben ist.

2. Im Streitfall war der Aufenthalt des Kindes in Jordanien bis zum Abitur auf insgesamt sechs Jahre angelegt und sollte auch dem Erlernen der arabischen Sprache dienen. Anschließen sollte sich ein Studium in Deutschland. Da dem Kind auch während des Auslandsaufenthalts ein Zimmer in der inländischen elterlichen Wohnung zur Verfügung stand und es sich während des überwiegenden Teils der Schulferien in Deutschland aufhielt, war nach dem Gesamtbild der Verhältnisse von einer Beibehaltung des inländischen Wohnsitzes auszugehen.

 

Normenkette

AO § 8; EStG § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 6, § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 12.11.2020; Aktenzeichen III R 6/20)

 

Tenor

1. Der Bescheid über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung vom 30. August 2017 und die Einspruchsentscheidung vom 19. Oktober 2017 werden aufgehoben.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

3. Das Urteil ist wegen der dem Kläger zu erstattenden Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des mit Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzten Kostenerstattungsbetrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der minderjährige Sohn des Klägers, der sich zu Ausbildungszwecken für mehrere Jahre im Ausland aufhält, einen Wohnsitz im Inland hat.

Der Kläger, der jordanischer Herkunft ist und 19.. geboren wurde, ist deutscher Staatsangehöriger und seit … 2001 in zweiter Ehe mit einer 19.. geborenen jordanischen Staatsangehörigen verheiratet. Aus der Ehe ging der … 2002 geborene Sohn X. hervor. Der Kläger hat aus einer ersten Ehe … zwischenzeitlich erwachsene Kinder. Er und seine Ehefrau bewohnen seit dem Jahr 2005 eine Drei-Zimmer-Wohnung in der A-Straße 1 in Y gemeinsam mit X. und dem 1988 geborenen Sohn Z. aus erster Ehe. In dieser Wohnung haben X. und Z. jeweils ein eigenes Zimmer. Das Wohnzimmer wird vom Kläger und seiner Frau auch als Schlafzimmer genutzt. Der Kläger ist seit dem Jahr 2014 im Ruhestand.

X. besuchte zunächst die Grundschule und während der ersten beiden Schulklassen das Gymnasium in Deutschland. Seit September 2014 geht X. bis voraussichtlich zur Ablegung des jordanischen Abiturs im Juni 2020 auf eine Schule in B, Jordanien. Er ist im nahe gelegenen C in der Wohnung seines Onkels und dessen Frau untergebracht. Zunächst lebte dort auch seine Großmutter, die zwischenzeitlich verstorben ist. In Jordanien liegen die Schulferien in den Monaten Juli und August und dauern jeweils zwei Monate. Im Jahr 2015 verbrachte X. ausweislich der vorgelegten Flugtickets vom 15. Juni bis 21. August 68 Tage, im Jahr 2016 vom 15. Juli bis 9. September 57 Tage, im Jahr 2017 vom 14. Juli bis 8. September 57 Tage und im Jahr 2018 vom 6. Juli bis 30. August 56 Tage in Deutschland in der Wohnung seiner Eltern. Dabei werden An- und Abreisetag jeweils als Aufenthalt in Deutschland gezählt.

Die beklagte Familienkasse hob im Jahr 2016 die ursprüngliche Kindergeldfestsetzung erstmals auf, half jedoch durch Bescheid vom 16. Februar 2017 dem Einspruch des Klägers ab, weil sie davon ausging, dass es sich nur um einen einjährigen Auslandsaufenthalt handle. Bereits in diesem Verfahren beantwortete der Kläger einen Fragenkatalog des Beklagten zum Auslandsaufenthalt des Kindes und reichte Flugtickets vom 5. August 2014, 3. August 2015 und vom 15. August 2016 sowie Kopien des Reisepasses des Kindes ein (Kindergeldakte Band 2 Bl. 219ff).

Mit Bescheid vom 30. August 2017 hob die beklagte Familienkasse die Kindergeldfestsetzung ab Juli 2017 nach vorhergehender Anhörung des Klägers auf. Im Laufe des Anhörungs- und Einspruchsverfahrens reichte der Kläger eine jordanische Schulbescheinigung vom 11. Juni 2017 für das Schuljahr 2016/2017 im arabischen Original und in deutscher Übersetzung ein (Kindergeldakte Band 2 Bl. 255f). Außerdem teilte er mit Schreiben vom 10. August 2017 mit, X. lebe seit September 2014 mit seiner Mutter in der Wohnung des Schwagers und der Oma in Jordanien. Er bleibe voraussichtlich bis 2020 in Jordanien. X. kehre einmal pro Jahr für die Dauer von 2 bis 3 Monaten nach Deutschland in die elterliche Wohnung zurück. Dort habe er ein Zimmer für sich alleine. X. sei nur zu schulischen Zwecken in Jordanien (Kindergeldakte Band 2 Bl. 263). Der Kläger reichte im Übrigen dieselben Unterlagen wie im vorgegangenen Verfahren erneut ein (Kindergeldakte Band 2 Bl. 265ff).

Den am 4. September 2017 vom Kläger eingelegten Einspruch wies die Familienkasse...

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