Entscheidungsstichwort (Thema)

Insolvenzverfahren mit Anordnung der Eigenverwaltung. Vereinnahmung von Entgelten für vor der Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Anwendung der sog. Doppelberichtigungsrechtsprechung des BFH

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wird über das Vermögen eines Unternehmers das Insolvenzverfahren eröffnet, tritt hinsichtlich der noch nicht entrichteten Leistungsentgelte Uneinbringlichkeit ein. Unerheblich ist, ob es sich um ein Entgelt für eine vom Unternehmer bezogene oder erbrachte Leistung handelt.

2. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des leistenden Unternehmers kommt es zu einer Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Unternehmensteile, bei denen es sich z. B. um die Insolvenzmasse und das vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögen handeln kann. Daneben besteht auch ein vorinsolvenzrechtlicher Unternehmensteil.

3. Wird die Entgeltforderung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens uneinbringlich, begründet die spätere Entgeltvereinnahmung durch den Insolvenzverwalter eine erneute Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG im Zeitpunkt der Vereinnahmung.

4. Die für das Insolvenzverfahren mit Bestellung eines Insolvenzverwalters geltenden Grundsätze sind auch dann anzuwenden, wenn das Insolvenzverfahren eröffnet und vom Insolvenzgericht die Eigenverwaltung angeordnet wird.

 

Normenkette

UStG § 17 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1; InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1, §§ 80, 270 Abs. 1 S. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 27.09.2018; Aktenzeichen V R 45/16)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin (Klin) ist in der Rechtsform einer GmbH im Bereich der … tätig. Sie versteuerte ihre Umsätze nach vereinbarten Entgelten gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Umsatzsteuergesetz (UStG) zum Regelsteuersatz.

Die Klin stellte am 10. Mai 2012 beim Amtsgericht –AG– X einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung (Bl. 1 der Insolvenzakte…). Mit Beschluss des AG X vom 16. Mai 2012 wurde der Klin im Insolvenzeröffnungsverfahren gemäß § 270a Insolvenzordnung (InsO) ein vorläufiger Sachwalter bestellt und gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, 22a Abs. 2 InsO ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt (Bl. 338 und 341 der Insolvenzakte…). Vom vorläufigen Sachwalter wurde am 18. Mai 2012 ein Anderkonto eingerichtet, über welches nur dieser verfügungsberechtigt war. Die Schuldner der Klin wurden durch sie schriftlich darüber informiert, dass ausstehende Zahlungen auf das Anderkonto zu leisten sind und nur Zahlungen hierauf schuldbefreiende Wirkung haben. Diese Schreiben wurden sowohl vom Geschäftsführer der Klin als auch vom vorläufigen Sachwalter unterzeichnet. Das bisherige Girokonto der Klin bestand weiter und wurde von dieser zum ausgehenden Zahlungsverkehr genutzt. Der Sachwalter überwies vor anstehenden Zahlungen an Gläubiger nach Unterrichtung durch die Klin die entsprechenden Geldbeträge vom Anderkonto auf das Girokonto. Mit Beschluss vom 27. Juli 2012 wurde zur Sicherung und Erhaltung des Vermögens angeordnet: „Die Schuldnerin wird ermächtigt, zur Aufrechterhaltung und Fortführung des Geschäftsbetriebs notwendige Verbindlichkeiten aus Warenlieferungen und Dienstleistungen mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters als Masseverbindlichkeiten zu Lasten der späteren Insolvenzmasse zu begründen (analog §§ 270a, 22 Abs. 2, 55 Abs. 2 InsO)”.

Mit Beschluss vom 1. August 2012 eröffnete das AG X das Insolvenzverfahren unter Anordnung der Eigenverwaltung und Bestellung eines Sachwalters. Am 21. September 2012 fasste die Gläubigerversammlung den Beschluss, dass eingehende Gelder auf dem Treuhandkonto des Sachwalters bei der A-Bank (Kontonr. 22…) verwahrt werden. Mit Beschluss vom 24. Januar 2013 wurde der Insolvenzplan bestätigt und das Insolvenzverfahren mit Beschluss vom 12. Februar 2013 aufgehoben.

Die Klin gab ihre Umsatzsteuer(USt)-Voranmeldung für den Monat August 2012 am 31. Oktober 2012 ab. Am 18. Januar 2013 fand bei der Klin eine USt-Nachschau und Sonderprüfung hinsichtlich der USt August bis Oktober 2012 statt. Der Prüfer stellte die nachfolgend näher dargestellten Umsätze fest:

Leistungszeitpunkt

Rechnungsdatum

Entgelt netto

USt

Entgelt brutto

zwischen 27.02.2012 und 9.03.2012

14. März 2012

510,65 EUR

97,02 EUR

607,67 EUR

zwischen 5.03.2012 und 13.04.2012

18. April 2012

6.608,75 EUR

1.255,66 EUR

7.864,41 EUR

zwischen Mai und Juni 2012

12. Juli 2012

14.900 EUR

2.831 EUR

17.731 EUR

zwischen Juni und 12. Juli 2012

12. Juli 2012

12.300 EUR

2.337 EUR

14.637 EUR

zwischen 1. Juli und 17. Juli 2012

17.Juli 2012

91.494,75 EUR

17.384 EUR

108.878,75 EUR

Gesamt

125.814,15 EUR

23.904,68 EUR

149.717,83 EUR

Die Schuldner leisteten die Zahlungen am 16. bzw. 23. August 2012 auf das bei der A-Bank eingerichtete Anderkonto (Nr. 22… – Konto 23…).

Die Klin hatte diese Umsätze nicht in ihrer USt-Voranmeldung August 2012 angem...

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