Entscheidungsstichwort (Thema)

Bilanzierungswahlrecht zum Verzicht auf den Ansatz eines Rechnungsabgrenzungspostens in Fällen von geringer Bedeutung entsprechend der jeweiligen Grenze des § 6 Abs. 2 EStG

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Bilanzierungsgrundsätze der Vollständigkeit und Wahrheit werden durch den Grundsatz der Wesentlichkeit eingeschränkt. In Fällen von geringer Bedeutung kann daher auf eine aktive Rechnungsabgrenzung auch aus Gründen der Bilanzklarheit verzichtet werden. Bei der Frage, wann ein Fall von geringer Bedeutung vorliegt, ist auf die jeweilige Grenze des § 6 Abs. 2 EStG bei geringwertigen Wirtschaftsgütern abzustellen (Anschluss an BFH, Beschluss v. 18.3.2010, X R 20/09, BFH/NV 2010 S. 1796; vgl. BFH, Urteil v. 16.9.1958, I 351/56 U, BStBl 1958 III S. 462; BFH, Urteil v. 2.6.1960, IV 114/58; Abgrenzung zu BFH, Urteil v. 19.5.2010, I R 65/09, BStBl 2010 II S. 967).

2. Im Streitfall zu den Streitjahren 2015 bis 2017: Keine Bildung eines aktiven Rechnungsabgrenzungsposten, sondern sofortiger Betriebsausgabenabzug für unter 410 EUR liegende Vorauszahlungen für Versicherungen, Werbung, Kfz-Steuer.

 

Normenkette

EStG § 5 Abs. 5 S. 1 Nr. 1, § 6 Abs. 2, § 4 Abs. 4; HGB § 240 Abs. 3-4, §§ 241, 256

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 16.03.2021; Aktenzeichen X R 34/19)

 

Tenor

1) Der Einkommensteuerbescheid 2015 vom 29.03.2017, zuletzt geändert am 27.05.2019, wird dahingehend geändert, dass die bisher bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb des Klägers als Rechnungsabgrenzungsposten angesetzten Ausgaben in Höhe von insgesamt 1.341 EUR für X-Werbung, Z-Verlag, Rechtsschutzversicherung, Haftpflichtversicherung und Kfz-Steuer als sofort abzugsfähige Betriebsausgaben berücksichtigt werden.

2) Der Einkommensteuerbescheid 2016 vom 02.03.2018, zuletzt geändert am 27.05.2019, wird dahingehend geändert, dass die bisher bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb des Klägers als Rechnungsabgrenzungsposten angesetzten Ausgaben in Höhe von insgesamt 1.550 EUR für X-Werbung, Z-Verlag, R Werbung, Rechtsschutzversicherung, Y Abo und Kfz-Steuer als sofort abzugsfähige Betriebsausgaben berücksichtigt werden.

3) Der Einkommensteuerbescheid 2017 vom 27.05.2019, wird dahingehend geändert, dass die bisher bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb des Klägers als Rechnungsabgrenzungsposten angesetzten Ausgaben in Höhe von insgesamt 1.315 EUR für X-Werbung, Z-Verlag, R Werbung, Rechtsschutzversicherung und Kfz-Steuer als sofort abzugsfähige Betriebsausgaben berücksichtigt werden.

4) Dem Beklagten wird aufgegeben, die geänderten Steuerfestsetzungen nach Maßgabe der Urteilsgründe zu errechnen, ferner den Klägern das Ergebnis dieser Berechnung unverzüglich mitzuteilen und die Bescheide mit dem geänderten Inhalt nach Rechtskraft dieses Urteils neu bekanntzugeben.

5) Die Revision wird zugelassen.

6) Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

7) Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, haben die Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn die Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet haben, § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob auch für unwesentliche Beträge eine Pflicht zur Bildung eines aktiven Rechnungsabgrenzungspostens (RAP) besteht.

Die Kläger sind verheiratet und wurden in den Streitjahren zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist Flaschnermeister und erzielte unter anderem mit seinem als Einzelunternehmen geführten Handwerksbetrieb Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die er gemäß § 5 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) ermittelte. Die Klägerin erzielte in den Streitjahren hauptsächlich Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit.

Im Jahr 2016 fand beim Kläger eine Außenprüfung für die Jahre 2012–2014 statt. Die Betriebsprüferin erhöhte im Jahr 2014 unter anderem die aktiven RAP. Der Kläger hatte die entsprechenden Betriebsausgaben als sofort abzugsfähigen Aufwand verbucht, da die Abgrenzungsbeträge aus seiner Sicht nur von geringer Bedeutung gewesen seien. Hierüber wurde ein Rechtsstreit geführt, welchen das Finanzgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 02.03.2018 (5 K 548/17, Entscheidungen der Finanzgerichte [EFG] 2019, 415) rechtskräftig zu Gunsten der Kläger entschieden hat.

Der Beklagte veranlagte die Kläger bei der Einkommensteuer 2015 und 2016 zunächst erklärungsgemäß. Die Einkommensteuerbescheide vom 29.03.2017 (Einkommensteuer 2015) und vom 02.03.2018 (Einkommensteuer 2016) ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung [AO]).

Auf Nachfrage des Beklagten erklärte der Klägervertreter, dass in den Jahren 2015 – 2017 aufgrund der hinsichtlich der Einkommensteuer 2014 zu Gunsten des Klägers ergangenen Entscheidung...

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