Entscheidungsstichwort (Thema)

Grenzgängereigenschaft eines in Deutschland ansässigen leitenden Angestellten einer Schweizer Aktiengesellschaft bei zeitweiser Tätigkeit in einem Drittstaat. Kollektivprokurist als leitender Angestellter

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Von einem als notwendige Voraussetzung für die Grenzgängereigenschaft erforderlichen regelmäßigen Pendeln über die Grenze ist auszugehen, wenn der Steuerpflichtige an 44 % seiner Arbeitstage die Grenze zwischen seinem Wohnsitzstaat Deutschland und seinem Tätigkeitsstaat Schweiz überquert.

2. Für die Ermittlung der Voraussetzungen für die Grenzgängereigenschaft nach Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz ist grundsätzlich das gesamte Kalenderjahr maßgeblich.

3. Arbeitstage in Drittstaaten sind bei der Ermittlung der Nichtrückkehrtage zu berücksichtigen. Die Grenzgängereigenschaft entfällt daher, wenn der Arbeitnehmer an mehr als 60 Arbeitstagen im Kalenderjahr nicht an seinen Wohnsitz zurückgekehrt ist, weil er für seinen Arbeitgeber in einem Drittstaat tätig gewesen ist.

4. Die Bestimmung des Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz enthält für ihren Anwendungsbereich eine Fiktion des Tätigkeitsortes leitender Angestellter. Diese Fiktion ist bei der Entscheidung zum Arbeitsort in Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz bzw. zur Arbeitsausübung in Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz, bei denen es sich jeweils um speziellere Bestimmungen handelt, die dem Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz vorgehen, nicht zu berücksichtigen.

5. Ein (Kollektiv-)Prokurist einer Schweizer Aktiengesellschaft ist leitender Angestellter im Sinne von Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz.

 

Normenkette

DBA CHE Art. 15a Abs. 1 S. 1; DBA CHE 1971/2010 Art. 15a Abs. 2 S. 2; DBA CHE Art. 15 Abs. 1-2, 4, Art. 24 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 11.11.2010; Aktenzeichen I R 68/08)

 

Tenor

1. Unter Änderung des Einkommensteueränderungsbescheides vom 16. Mai 2003 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. Dezember 2004 wird die Einkommensteuer auf 18.151 DM festgesetzt.

2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung von mehr als 1.500 EUR, darf die Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des darin festgesetzten Erstattungsbetrages erfolgen. In anderen Fällen kann der Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten.

4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger sind Eheleute, die für den Veranlagungszeitraum 2000 (Streitjahr) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Die Kläger haben ihren Wohnsitz in X. Der Kläger ist von Beruf Dipl. Ingenieur.

Der am 5. Juni 1937 geborene Kläger arbeitete seit dem 1. Januar 1986 bis zu seiner Pensionierung zum 31. Mai 2001 bei der (im folgenden: H-AG bzw. Arbeitgeberin –im übrigen Hinweis auf das Schreiben der H-AG vom 14. Juni 2007 als Anlage zum Schreiben des Klägers vom 25. Juni 2007–) in der Schweiz (vgl. den auch noch für die Streitjahre im wesentlichen verbindlichen Arbeitsvertrag vom 20. November 1985 –s. die Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 15. Juni 2007). Seine regelmäßige Arbeitsstätte war die Zentralstelle der H-AG (Division …) in Y (Kanton Z).

Durch Beschluss des Verwaltungsrates der H-AG vom 23. April 1990 (Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 14. Mai 2008) wurde der Kläger zum Prokuristen ernannt [Hinweis auf Art. 716 a Abs. 1 Nr. 4 des Bundesgesetzes betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) –im folgenden: OR– und auf Art. 721 OR; Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, Bern, 1996, § 30 Rn. 46] und zwar –wie in der Schweiz generell üblich bei Großgesellschaften (wie der H-AG)– zum Kollektivprokuristen (vgl. hierzu: Watter in: Basler Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I, 4. Aufl., 2007, Zürich –im folgenden: BSK OR I-Bearbeiter– Art. 460 Rn. 7–11).

Aus Art. 721 OR („Der Verwaltungsrat kann Prokuristen und andere Bevollmächtigte ernennen”) folgt, dass alle Zeichnungsberechtigungen –einschließlich der nicht im Schweizerischen Handelsregister einzutragenden Handlungsvollmacht (Art. 462 OR; BSK OR I-Watter, 4. Aufl., 2007, Art. 462 Rn. 3)– durch den Gesamtverwaltungsrat zu erteilen sind. Die Bestimmung wird bei Großgesellschaften –wie z.B. der H-AG–, in denen jährlich Hunderte von Zeichnungsberechtigungen (Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, a.a.O., § 30 Rn. 85) zu erteilen sind, als unsinnig angesehen (Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, a.a.O., § 29 Rn. 64; Watter in: Basler Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht Obligationenrecht II, 2. Aufl., 2002 –im folgenden: BSK OR II-Bearbeiter– Art. 716 a Rn. 16), vom Schweizerischen Gesetzgeber aber offenbar bewusst so gewollt (vgl. Botschaft 182 zitiert bei: Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, a.a.O. § 29 ...

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